Am vergangenen Dienstag trafen sich einige Bio-Lebensmittelhersteller erstmalig zum neu gegründeten Arbeitskreis Veggie / pflanzliche Ernährung der Assoziation ökologischer Lebensmittelhersteller e.V. (AöL), um über die Zukunft pflanzlicher Lebensmittel zu diskutieren. Neben ernährungsphysiologischen und rechtlichen Themen ging es auch um die Erarbeitung einer pflanzenbasierten Ernährungsstrategie 2030. Die Unternehmen sind sich einig: Der Zeitpunkt für eine Ernährungswende ist gekommen.
Schon lange vor der Veröffentlichung der Farm to Fork-Strategie im Rahmen des Green Deals durch die Europäische Kommission im Mai 2020 war ersichtlich, dass kein Weg an einer grundlegenden Ernährungsreform vorbeiführt. Bereits seit einigen Jahren ist der Trend hin zu einer pflanzlichen Ernährung zu beobachten. Das Sortiment veganer und vegetarischer Produkte im Handel wächst stetig. Ein Umsatzplus von 20 bis 30 Prozent gegenüber dem Vorjahr wurde bei einigen Produktgruppen in den vergangenen Jahren häufig erzielt.
Nicht nur der Bereich der Fleisch- und Milchalternativen, sondern auch der Bereich pflanzlicher Brotaufstriche hat sehr stark zugelegt. Neben Produktinnovationen und einer Verbreiterung des Sortiments im Lebensmitteleinzelhandel spielt bei der Entwicklung auch eine höhere mediale Aufmerksamkeit eine entscheidende Rolle. Politische Bewegungen, wie ‚fridays for future‘ und eine wachsende Präsenz in den sozialen Medien, sowie erste Fernsehwerbespots und Sendungen über pflanzliche Produkte tragen zu der steigenden Beliebtheit bei.
Während immer mehr Verbraucher aus gesundheitlichen, ethischen oder ökologischen Gründen bereits verstärkt auf eine pflanzliche Ernährung zurückgreifen, hat nun auch die Europäische Kommission Ziele für eine Transformation der Wirtschaft formuliert. In der EU soll bis 2050 der erste klimaneutrale Wirtschaftsraum entstehen. Die Industrie soll für eine Kreislaufwirtschaft gewonnen, Ökosysteme wiederhergestellt und ein „Null-Schadstoff-Ziel“ für eine schadstofffreie Umwelt forciert werden. Der Green Deal und die Farm to Fork-Strategie favorisieren einen Ernährungsstil, der eine pflanzliche Ernährung klar forciert und ein Umsteuern zu deutlich weniger und unter besseren Bedingungen erzeugten tierischen Lebensmittel fordert.
Neben Maßnahmen, die ein Verfahren zur Ermittlung neuer innovativer Lebens- und Futtermittelerzeugnisse und zur Verbesserung der Verbraucherinnen- und Verbraucherinformation bezüglich einer gesunden und nachhaltigen Ernährung einleiten sollen, geht die Strategie erfreulicher Weise explizit auf die Vorteile einer pflanzenbasierten Ernährung ein. Die Kommission stellt einen Wandel hin zu einer stärker pflanzenbasierten Ernährung sowohl hinsichtlich der Umweltauswirkungen, als auch hinsichtlich der gesundheitlichen Aspekte als Chance und Ziel heraus. So zeigt die Farm to Fork-Strategie den Zusammenhang zwischen 950.000 Todesfälle in der EU (2017) durch ungesunde Ernährungsweisen und verweist in diesem Zusammenhang auf eine pflanzenbasierte Ernährung. Auch bei Strategien zur Düngemittelreduzierung, Verbesserung der Bedingungen in der Tierhaltung und zum Kampf gegen antibiotikaresistente Keime kann die pflanzliche Ernährung Antworten geben.
Im Arbeitskreis Veggie/pflanzliche Ernährung beschäftigen sich AöL Unternehmen mit genau diesen, brandaktuellen Themen. Denn trotz aller anerkannter Vorteile und in der Theorie kommunizierter Ziele, liegt der Anteil pflanzlicher Ernährung in der Praxis noch weit hinter den Empfehlungen zurück. Was sind also die Hürden, die die Umsetzung der formulierten Ziele mit sich bringen?
Dies wollten die Unternehmen im Rahmen des Arbeitskreis-Treffens von Gastredner Professor Dr. Markus Keller vom Institut für alternative und nachhaltige Ernährung wissen. In seinem Vortrag „Umsetzung einer pflanzenbasierten Ernährung in der Gesellschaft“ veranschaulichte Keller zunächst die Entwicklung. Am Beispiel des „earth overshoot day“, der in Deutschland 2019 bereits im Mai lag, wird das Erreichen der ökologischen Belastungsgrenzen deutlich. Eigentlich seien diese Erhebungen mittlerweile auch in der Gesellschaft hinreichend bekannt, so Keller.
Mit „7 Schritte zu einer Nachhaltigen Ernährung“ zeigt er notwendige Ansatzpunkte für den Wandel. An oberster Stelle stehe hier die Bevorzugung pflanzlicher Lebensmittel. „Also: was hindert uns, pflanzenbasierter zu essen?“ Die Verbraucher seien immer noch nicht hinreichend aufgeklärt. Das liege aber nicht nur an Verbraucherbildung, sondern vor allen Dingen auch an der sehr dünnen Datenlage. Während in anderen Forschungsbereichen wesentlich größere Budgets zur Verfügung stünden, seien insbesondere die ernährungsphysiologischen Aspekte pflanzlicher Ernährung bisher nicht hinreichend validiert. Es bleibt also zu hoffen, dass Förderprogramme zur Farm to Fork-Strategie diese Lücke künftig schließen werden und die Vorurteile gegenüber pflanzenbasierter Ernährung abgebaut werden können.
Im weiteren Sitzungsverlauf beschäftigte sich der Arbeitskreis mit der Marktentwicklung pflanzlicher Bio-Produkte. Obwohl Verbraucherbeweggründe für Trends wie vegane/vegetarische und ökologische Ernährung ähnlich nah beieinander liegen, gibt es Anzeichen dafür, dass sich der Markt hier auseinanderentwickelt. Laut eines Berichts des BÖLW aus 2020 wuchs beispielsweise der Fleisch-Ersatzmarkt in letzter Zeit vor allem im konventionellen Bereich dynamischer, während die Nachfrage bei Bio sogar leicht rückläufig ist. „Es wird Aufgabe der Bio-Branche sein, dem Verbraucher den Mehrwert einer überwiegend pflanzlichen Ernährung in Bioqualität deutlich zu machen“ so Matthias Beuger, Leiter des Arbeitskreises Veggie / pflanzliche Ernährung im AöL. Der europäische Green Deal ist hierzu der perfekte Fahrplan.
Die Kommission legt mit der Strategie einen klaren Fokus auf pflanzliche Ernährung und auf ökologische Landwirtschaft. Die Unternehmen im Arbeitskreis Veggie /pflanzliche Ernährung sind sich einig, dass es eine Zukunftsaufgabe ist, die beiden Elemente zu verbinden und für die Bio-Branche nutzbar zu machen. Doch mit welchen strategischen Mitteln kann dieser Wandel gelingen?
Neben Fragen rund um pflanzliche Alternativen ist daher die Frage nach einer zukunftsfähigen Ernährungsstrategie zentral, der die Unternehmen im Arbeitskreis zukünftig nachgehen wollen. Auch rechtliche Themen sollen dabei im Diskurs stehen. So sei es aus Sicht der Teilnehmenden nicht verständlich, warum zeitgleich zur Farm to Fork-Strategie im Agrarausschuss des europäischen Parlaments über ein Namensverbot für pflanzliche Alternativen diskutiert werde. Vielmehr müsse auch hier ein Wandel stattfinden und veraltete Gesetzgebungen, wie die EU-Milchverordnung, überarbeitet werden. Rechtliche Hürden für pflanzliche Produkte müssen gezielt abgebaut werden. Auch über eine Mehrwertsteuersenkung für nachhaltige Alternativen müsse diskutiert werden. „Es geht nicht darum, sich zu 100 Prozent pflanzlich zu ernähren, sondern darum, eine Ernährungswende hin zu einer überwiegend pflanzlichen Ernährung in Bioqualität zu schaffen.“, so Matthias Beuger.
Auch der geschäftsführende Vorstand der AöL, Dr. Alexander Beck, sieht in der Gründung des neuen Arbeitskreises eine Chance, um die Vielfalt in der Ernährung und die Entwicklung hin zu mehr pflanzlichen Lebensmitteln abzubilden und zu unterstützen: „Der neue Arbeitskreis Veggie / pflanzliche Ernährung erweitert die Themen, zu denen die AöL intensiv mit ihren Mitgliedern arbeitet um einen wichtigen Aspekt. Eine stärkere Priorisierung pflanzlicher und biologischer Ernährung ist von Vorteil für Mensch, Tier und Umwelt.“
Matthias Beuger, AöL