Was wir über die Ernährungswende wissen, ist entscheidend für unsere Offenheit gegenüber neuen Produkten und Technologien. Trotzdem dominieren Bilder von Petrischalen und eine Kommunikation entlang abstrakter Kategorien wie Labor, Präzisionsfermentation aber auch Klimaschutz den öffentlichen Diskurs. Dabei steht alles auf Skalierung und nur wenig dreht sich um das Verhältnis von Menschen und Lebensmittel. Die Zeit ist reif, den Fokus der Linse zu schärfen, die zwischen Realität und Lebensmittelinnovation gelegt wird.
Ein Kommentar von Nadine Filko
Ein Meer aus leuchtend blauen und grünen Punkten vereint in einem Universum der kulinarischen Möglichkeiten. Ein rot-grün-gelber Flickenteppich, der einen nie dagewesenen Blick auf die Beschaffenheit und Anforderungen unserer Erde kreiert und reich gedeckte, bunte Tafeln, die dazu einladen, ein neues Lebensmittelsystem zu zelebrieren. Was die Branche entlang der Wertschöpfung eines transformierenden Lebensmittelsystems auf Bildern und in Präsentationen dokumentiert, liegt oft unberührt auf globalen Servern und wird nur einer Handvoll Menschen gezeigt, die wir nicht mehr neugierig machen müssen. Sie sind längst Teil der Transformation. Sie erleben, was das neue System zu bieten hat. Sie probieren, wie die Zukunft der Ernährung schmeckt. Und sie blicken letztendlich auf faszinierende Bilder und Visionen.
Sie leben aber auch in einem Ausschnitt einer Wirklichkeit, der nichts mit dem alltäglichen Konsum von Lebensmitteln der Mehrheit der Menschen zu tun hat. Dabei gibt es Schnittmengen der Alltäglichkeit, der Bedürfnisse und Erfordernisse an Lebensmittel, die Gesellschaften und Teilgruppen innerhalb dieser einen.

Von der Innovation zurück zum Menschen
Während die Macher:innen der Ernährungswende Jahr ein, Jahr aus über die wichtigsten aktuellen Entwicklungen der Teilmärkte diskutieren, geht es selten um die nahbaren Themen der Bevölkerung. Klar, es geht auch mal um Preise und Achtung No-Brainer darum, dass die Produkte eine gewisse Qualität haben müssen. Versteht mich nicht falsch: Die Prozesse dahinter sind komplex und die Anforderungen hoch. Die Diskussion allerdings, dass Qualität zentral ist und damit Geschmack und Textur neuer Produkte im Fokus stehen müssen, ist überholt. Wie wir das schaffen, steht auf einem ganz anderen Blatt und übersteigt sehr oft in der Tiefe das, was auf Konferenzen und Co. diskutiert werden kann. Hören wir also auf, an der einvernehmlichen Oberfläche zu kratzen und blicken wir auf angebundene, nicht minder relevante Themen wie die breite Akzeptanz und Education.
Denn ohne den Griff ins Regal wird selbst die beste Qualität gar nicht erst probiert, für gut befunden und in den Ernährungsalltag aufgenommen – daran wird auch der Preis nichts ändern. Wir müssen „kennen“, um zu kaufen. In den letzten rund acht Jahren habe ich mich oft gefragt, wie die Kommunikation mit Verbrauchenden gestaltet werden muss, um dieses „Kennen“ sicherzustellen. Schließlich war ich als Journalistin und Autorin im Kern der Kommunikation, habe Unternehmen beobachtet und die Entwicklung der Proteinwende am deutschen Markt begleitet. Wie können also die Innvator:innen bewirken, dass Verbrauchende sich weniger um die technologischen Aspekte der Produkte sorgen und mehr für den täglichen Konsum besorgen?

Innovation erleben
Wieso verschieben wir nicht mal den Fokus unseres Tuns von den grundlegenden ökonomischen und ökologischen Metriken der Etablierung eines Marktes oder auch nur einer Marke auf das, was das System menschlich macht: das Erleben. Neue Lebensmittelproduktion ersetzt dann nicht mehr, es schützt nicht das Klima oder sorgt für Profit und Ertrag. All diese Bekannten und Unbekannten sind zwar unerlässlich in der Formel für die Zukunft, was sie aber außer Acht lassen, ist Kultur, Bedürfnis und Verlangen nach Genuss. Es sind, wie ich in meinem Buch FOOD CHAINge beschreibe, die „kulinarischen G-Punkte“, die uns an den Herd, in die Restaurants und Supermärkte treiben. Ernährung ist Erhalt des Lebens, aber eben auch Erhalt der Leidenschaften für Geschmack und Gerüche, die sie vermitteln. Wir verbinden mit diesen Gerüchen und Geschmäckern Erlebnisse. Diese positiven Verbindungen zum Lebensmittel müssen neben technologischen Aspekten ins Zentrum der Lebensmittelproduktion rücken und sollten nicht zuletzt mitgedacht werden.
Um die Lücke der Kommunikation zu schließen, sollten wir all das neugierweckende, überraschend gutschmeckende und faszinierende der Innovation in die Mitte der Gesellschaft tragen. Es ist die „Beauty of Bioscience“ oder konsument:innenfreundlich abgekürzt „BoB“, die uns helfen könnte, etwas zu verändern, das tief in uns verwurzelt ist. Dabei brauchen wir Worte mit Bedacht und Bilder, die uns innehalten lassen. Diese Bilder und Dokumentationen der Arbeit in den Blackboxes der Innovator:innen erlauben einen anderen Blick auf das, was in der Öffentlichkeit als Notwendigkeit kommuniziert wird. Sie verbinden Innovation mit unserer Menschlichkeit.

Zur Autorin Nadine Filko
Nadine Filko ist Autorin und Gründerin der Initiative eatX, die vorsieht, die Ernährungswende über Erlebnisse für Konsument:innen nahbar zu machen. In ihrem 2024 publizierten Buch „FOOD CHAINge“ befasst sie sich mit dem System der Transformation und trägt das Wissen unterschiedlicher Akteure zusammen, um einen holistischen Blick auf die Lebensmittelwertschöpfung zu wagen.
Beauty of Bioscience aka BoB
Beauty of Bioscience ist ein erstes Projekt aus der Initiative eatX. Es handelt sich um eine Ausstellung über eine neu gedachte Lebensmittelwertschöpfung. Die Ausstellung entstand mithilfe der Unterstützung von Bluu Seafood, Constellr, Cultimate, Formo, Infamily Foods, Innocent Meat, Novonesis, Planted, Redefine Meat, Respectfarms, Rewe sowie einer lokalen Rinderzucht. Sie alle haben Bildmaterial zur Verfügung gestellt, das Konsument:innen zeigt, wie faszinierend eine neue Lebensmittelproduktion sein kann. Ab dem 6. Februar bis zum 30. März kann im Brauhaus Goslar die Ausstellung „Beauty of Bioscience“ besucht werden, die auch in Zusammenarbeit mit der Stadt als Ansatz zur Wiederbelebung der Innenstadt abseits der Saison entstanden ist.
Mehr über eatX: eatx.info
Weitere Informationen: nadinefilko.com