Proteine

Uni Hohenheim: Neue Proteine sollen Backwaren lecker und verträglich machen

Gänseblümchen, Erbsen, Raps & Co.: Forscher der Uni Hohenheim wollen Gluten-Protein durch neue Alternativen ersetzen. Statt Backöfen wären 3D-Drucker möglich.

Gluten ist eines der größten natürlichen Proteine mit ausgezeichneten Eigenschaften: Einen gut gegärten Teig hält es so lange luftig, bis das Backen die offenporige Struktur stabilisiert. Prof. Dr. Mario Jekle von der Universität Hohenheim in Stuttgart arbeitet an Verfahren, bei denen ausgewählte Proteine, z.B. aus Erbsen, Raps, Reis oder Mais, das Gluten-Protein direkt ersetzen, oder sich zu Ketten mit gluten-ähnlichen Eigenschaften verknüpfen lassen.

Saponine aus Gänseblümchen und Quinoa-Samen oder sogenannte Schleimstoffe aus Getreideschalen unterstützen den Aufbau eines luftigen Teiges zusätzlich und reichern ihn teilweise mit wertvollen Ballaststoffen an. Das Ergebnis kann in den Backofen, oder im 3D-Drucker, energiesparend und mit vielen Zusatzmöglichkeiten ausgedruckt werden.

Noch sind es kleine Brötchen, die derzeit im Technikum der Lebensmittelwissenschaften vom Band laufen. Gerade einmal so groß wie Waggons einer Modelleisenbahn sind die Gebäckstücke, die Natalie Feller in kleinen Silikon-Kastenförmchen mit je 30-Gramm Teig auf das handbreite Förderband portioniert. Gut zwei Meter Wegstrecke lang werden die Mini-Brötchen mit Feuchtigkeit bedampft. Danach folgen zwei weitere Meter im Durchlauf-Backofen. Am Ende der Mini-Backstraße kommen die Testgebäcke goldgelb und dampfend wieder ans Licht.

Feller ist Doktorandin am Fachgebiet Pflanzliche Lebensmittel der Universität Hohenheim. Ihr Tagesziel: möglichst fluffiges Gebäck. Dafür hat sie das Labor mit dem Technikum getauscht. Hier stehen den Lebensmittelwissenschaftlern der Universität Hohenheim unter anderem ein kompletter Gerätepark zur Verfügung, wie er u.a. im Bäckerhandwerk, in Molkereien oder Metzgerbetrieben Verwendung findet.

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30g-weise portioniert Doktorandin Natalie Feller den Brot-Teig mit Alternativ-Proteinen statt Gluten in die Mini-Kastenformen für die Backstraße © Universität Hohenheim / Oliver Reuther

Bei rund 2 bis 3% der Bevölkerung erweist sich Gluten als Problem-Protein

Das Backexperiment von Feller vereint vieles: Lebensmitteltechnologie mit Materialwissenschaften und Ingenieurswissenschaften. Die besondere Herausforderung bei diesem Experiment ist die Rezeptur: Der Teig ist komplett glutenfrei und soll trotzdem locker-luftige und wohlschmeckende Backwaren produzieren.

Der Grund: bei zwei bis drei Prozent der Bevölkerung erweist sich Gluten als Problem-Protein: „Wir kennen inzwischen drei Krankheitsbilder, die mit Gluten zusammenhängen“, berichtet Prof. Dr. med. Stephan Bischoff vom Institut für Ernährungsmedizin der Universität Hohenheim.

Die bekannteste sei die Zöliakie, eine Mischung aus Allergie und Autoimmunerkrankung. Ähnlich weit verbreitet sei die Weizenallergie, die durch Gluten und ähnliche Peptide ausgelöst werde. Hinzu käme als drittes Krankheitsbild noch die Weizensensitivität, die bislang noch am wenigsten erforscht sei. „Noch ist nicht klar, durch was die Weizensensitivität genau auslöst wird und ob Gluten auch in diesem Fall eine Rolle spielt. An unserem Fachgebiet beschäftigen wir uns deshalb intensiv mit diesem Rätsel“, so Bischoff.

Vor allem Patienten, die an Zöliakie leiden, bleibt im Alltag nur eine Abhilfe: auf glutenfreie Lebensmittel zurückzugreifen.

© Africa Studio – stock.adobe.com

Bei klassischen Backwaren dient Gluten als Stützgerüst

Chemisch-physikalisch ist Gluten dagegen ein höchst spannendes Protein, findet Prof. Dr. Mario Jekle, der Leiter des Fachgebietes Pflanzliche Lebensmittel. „Gluten ist nicht nur eines der größten bekannten Proteine auf der Welt. Beim Backen hat es herausragende Eigenschaften“, so der Lebensmittelwissenschaftler.

Tatsächlich könne man sich einen voll gegärten Teig als eine Art Schaum vorstellen, der beim Backen erstarrt. Das Protein Gluten verleiht diesem Schaum Struktur und stützt ihn, damit er nicht vorzeitig zusammenfällt.

Genau daran hapert es bei vielen glutenfreien Backwaren: Die Zutaten „aufzuschäumen“ sei kein Problem. Das gelänge durch Rühren oder Hefe, Backpulver und andere Triebmittel genauso wie beim klassischen Weizenmehlteig. „Was bislang kaum gelingt, ist, die vielen kleinen Gasbläschen ohne das stützende Gluten-Gerüst im Teig zu halten“, sagt Jekle.

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Wie bei einer Modelleisenbahn reihen sich die 30-g-Backformen mit glutenfreien Brotvarianten auf der Mini-Backstraße © Universität Hohenheim / Unger+ / Frank Roller

Abhilfe sollen Protein-Ketten aus Natur-Proteinen schaffen

Mit ihrer aktuellen Forschung schlagen die Lebensmittelforscher der Universität Hohenheim deshalb einen neuen Weg ein: „Statt den Teig mit Gluten zu stützen, konzentrieren wir uns darauf, die Grenzfläche zwischen Gasbläschen und Teig mit alternativen Proteinen zu stabilisieren“, so Prof. Dr. Jekle.

Dazu verwendet das Team der Wissenschaftler um den Lebensmittelwissenschaftler neue, maßgeschneiderte Proteine. Die Ausgangsstoffe bilden Natur-Proteine aus Erbsen oder Raps, aus denen der Lebensmittelwissenschaftler die optimalen Proteine extrahiert.

Unterstützt werden die neuen Protein-Alternativen durch natürliche Saponine. Gewonnen werden diese aus Quinoa-Samen – oder aus Stängeln, Blättern und Blüten von Gänseblümchen.

Weiteres Potential sieht Prof. Dr. Jekle in der Pflanzenzucht: „Wenn wir die Anforderungen genau definieren, können wir zusammen mit den Pflanzenzüchtern zielgerichtet neue Erbsensorten züchten, deren Proteine sich noch besser für unseren Ansatz eignen.“

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Gänseblümchen, Erbsen, Raps & Co.: Bei diesen Mini-Testbroten verleihen alternative Proteine dem Teig eine locker-luftige Struktur, wie sie sonst nur mit Gluten erreicht werden kann © Universität Hohenheim / Oliver Reuther

Weiterer Ansatz beschert zusätzliche Ballaststoffe

In einem anderen Ansatz versucht das Fachgebiet natürliche Proteine aus Reis, Mais oder Hafer mit Schleimstoffen zu verketten, sogenannte Arabinoxylane. Diese Schleimstoffe befinden sich in fast allen Getreideschalen, die auch als Kleie oder Viehfutter verwendet werden.

Es ist ein Ansatz mit Zusatznutzen, denn so reichert die Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Jekle die Backwaren mit wertvollen Ballaststoffen an. Deren Bedeutung unterstreicht auch Ernährungsmediziner Prof. Dr. Bischoff. „Um ein Beispiel zu nennen: 30 Gramm Ballaststoffe am Tag sind bereits eine gute Vorbeugung gegen Dickdarmkrebs, eine der drei häufigsten Krebsarten bei Männern und Frauen“, sagt er.

Die Lebensmittlwissenschaftler der Universität Hohenheim planen deshalb, den Einsatz von Arabinoxylanen auch in anderen Lebensmitteln zu erforschen – etwa in Fleischersatzprodukten. Das Spannende daran: Der Ansatz ermöglicht nicht nur Ersatzprodukte mit einer fleischähnlichen Struktur, die Ballaststoffen bescherten ihnen auch noch einen ziemlich einmaligen Zusatznutzen. Bislang gäbe es noch keine vergleichbaren Produkte auf dem Markt.

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In naher Zukunft könnte Brot auch aus dem 3D-Drucker kommen

Eine weitere Vision ist, das Auflockern des Teigs und den Backvorgang gleich in einem Arbeitsschritt vorzunehmen – mit Hilfe von 3D-Druckern. Dabei baut eine Düse das Gebäck zusammen mit den Poren in Millimeter-dünnen Schichten auf. Darüber ist eine Backeinheit platziert, die jede Schicht sofort verfestigt.

Das Verfahren ähnelt damit ein bisschen der Art und Weise, wie Salzwedeler Bäcker seit 200 Jahren die klassischen Baumkuchen backen. Auch hier wird der Teig in millimeter-dünnen Schichten aufgetragen und klassisch am offenen Feuer fixiert. „Allerdings ist unsere Technik an der Universität Hohenheim natürlich weitaus feiner, flexibler und kann viele verschiedene Strukturen aufbauen“, betont Prof. Dr. Jekle.

Für ihn ist der 3D-Drucker fast schon ein Standardgerät, mit dem er seit einigen Jahren experimentiert. Egal ob es sich um Backwaren, Fleisch, Fleischersatz oder Beilagen handelt – prinzipiell ließe sich nahezu jedes Lebensmittel auch aus den einzelnen Komponenten im 3D-Drucker produzieren, so seine Überzeugung.

Als Ergänzung zur klassischen Küche bringe der 3D-Lebensmitteldrucker noch zwei weitere Vorteile mit: „Bei den gedruckten Lebensmitteln kann ich Mahlzeiten personalisieren, d.h., das Verhältnis von Fetten, Kohlehydraten, Proteinen und allen anderen Bestandteilen genau auf die individuellen Bedürfnisse einzelner Menschen ausrichten. Und ich kann die Rohstoffe zum Teil auch aus Reststoffen gewinnen, die zum Beispiel bei der Lebensmittelproduktion anfallen“, sagt Jekle abschließend.

Weitere Informationen dazu finden Sie unter www.uni-hohenheim.de.

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