Axel Anders, Mitgründer des International Biocyclic Vegan Network und Vorstandsmitglied beim Förderkreis Biozyklisch-Veganer Anbau e. V., sprach mit uns im Interview über Highlights und Herausforderungen im Jahr 2022 und die Ziele des Vereins für 2023.
Herr Anders, wie ist das Jahr 2022 für den biozyklisch-veganen Anbau verlaufen?
Nach der allgemeinen Ausbremsung durch die Pandemie war 2022 ein überaus erfolgreiches Jahr mit einer immer stärkeren Wahrnehmung des biozyklisch-veganen Anbaus in der Öffentlichkeit. Eine Landwirtschaft ohne Nutztierhaltung und ohne den Einsatz von Düngemitteln tierischen Ursprungs wird ja von weiten Kreisen immer noch als unrealistisch und nicht machbar bewertet.
Dabei sind derartige Ansichten schon lange durch die Praxis vieler auf rein pflanzlicher Grundlage arbeitender Betriebe und zunehmend auch durch wissenschaftliche Studien widerlegt. Gerade in dieser Hinsicht ist es im vergangenen Jahr zu interessanten Forschungskooperationen gekommen, die die Machbarkeit und auch die Vorteile des biozyklisch-veganen Anbaus eindeutig belegen.
Was waren für Sie die Highlights des Jahres 2022?
Neben vielfältigen Einladungen, um den biozyklisch-veganen Anbau auf Fachveranstaltungen aber auch auf Verbrauchermessen vorzustellen, haben wir seitens des Förderkreises Biozyklisch-Veganer Anbau e. V., der für die deutschsprachigen Länder zuständig ist, auch selbst mit einem eigenen Stand auf den Öko-Feldtagen, dem zentralen Treffpunkt der ökologischen Landwirtschaft in Deutschland, und an der Sommer-Edition der Biofach-Messe in Nürnberg teilgenommen. Ganz besonders wichtig war aber auch eine zweitägige Vernetzungstagung, die der Förderkreis im Oktober im Ökohaus Frankfurt/Main im Rahmen des vom Umweltbundesamt geförderten Verbändevorhabens “Veganer Ökolandbau” (VegÖL) organisiert hat. Hier konnten wir mit wichtigen Stakeholdern entlang der Wertschöpfungskette (landwirtschaftliche Erzeugung, Verarbeitung, Handel und Konsum) die wichtigsten Chancen und Herausforderungen für den biozyklisch-veganen Anbau intensiv diskutieren und daraus neue Handlungsziele ableiten.
In den Niederlanden wurde der biozyklisch-vegane Landwirt Joost van Strien mit seinem Hof Zonnegoed als „Agrarunternehmer des Jahres 2022“ ausgezeichnet und vom niederländischen Königspaar beim „Uitblinkerslunch“ im Noordeinde-Palast in Den Haag empfangen, zu dem alljährlich herausragende Persönlichkeiten eingeladen werden, die eine besondere Leistung erbracht haben.
Und, last but not least, wurde dem deutschen Förderkreis Biozyklisch-Veganer Anbau e. V. eine besondere Anerkennung zuteil, als ihm im Dezember 2022 von der Tierschutzbeauftragten des Berliner Senats der Ehrenpreis des Berliner Tierschutzes verliehen wurde für besondere Verdienste um den Tierschutz in Berlin. Diese Ehrung, über die wir uns sehr freuen, zeigt, dass der biozyklisch-vegane Anbau ein echtes Tierschutzpotential in sich birgt, indem er Wege aufzeigt, wie das oft als wirtschaftlich notwendig bezeichnete und daher billigend in Kauf genommene Tierleid in der Landwirtschaft grundsätzlich vermieden werden kann!
Was sind denn die Chancen und Herausforderungen für den biozyklisch-veganen Anbau?
Die landwirtschaftliche Tierhaltung ist einer der Haupttreiber für die weltweite Drillingskrise Klimawandel – Biodiversitätsverlust – Verschmutzung. Zu Recht wird in der Öffentlichkeit immer häufiger diskutiert, dass ein Wandel hin zu einem pflanzenbasierten Ernährungssystem die Voraussetzung dafür ist, um diese Probleme in den Griff zu bekommen.
Und dieser Wandel hat ja bereits begonnen: Der Markt für vegane Produkte wächst rasant, was ja auch vom Vegconomist eindrücklich dokumentiert wird. Auch wird von vielen der Ausstieg aus der Tierhaltung propagiert. Jetzt im Januar findet ja zum Beispiel in Berlin auch wieder die alljährliche „Wir-haben-es-satt-Demonstration“ statt. Aber selten werden pflanzenbasierte Ansätze wirklich konsequent zu Ende gedacht. Denn gerade die Landwirte sind es ja, die bei dieser Transformation extrem gefordert sind. Sie müssen ihre Produktionsweisen radikal umstellen, wenn der Konsum tierischer Produkte sinkt. Und hier bietet der biozyklisch-vegane Anbau einen echten Hebel, indem er aufzeigt, wie im Ökolandbau eine rein pflanzenbasierte Wirtschaftsweise ohne Ertragseinbußen möglich ist.
Der biozyklisch-vegane Anbau ist noch relativ unbekannt. Was sind denn die Hemmnisse, die seiner Verbreitung im Wege stehen?
Zunächst ist da die weit verbreitete Haltung, dass Tierhaltung zwingend erforderlich zur Landwirtschaft gehöre – vor allem zum Ökolandbau. Die gerade in Ökokreisen noch geringe Akzeptanz des biozyklisch-veganen Anbaus hängt natürlich auch damit zusammen, dass sich die Branche gerne als Vorreiter beim Tierwohl positioniert. Ein veganer Ansatz, der zeigt, dass Landwirtschaft auch ohne Tierhaltung erfolgreich sein kann, hat bislang noch nicht Einzug in das gängige Geschäftsmodell gefunden.
Dazu kommt, dass der biozyklisch-vegane Anbau trotz einer zunehmenden Wertschätzung in der allgemeinen Öffentlichkeit und in der Lebensmittelbranche immer noch als „unbedeutende Nische“ angesehen wird. Die Bewegung ist ja noch relativ jung. Die Biozyklisch-Veganen Richtlinien wurden erst 2017 als einziger globaler veganer Ökostandard etabliert. In der Landwirtschaft sind Umstellungsprozesse komplex und manchmal langwierig. So hängt die Bereitschaft zur Umstellung oft auch mit den Vermarktungsperspektiven zusammen.
Wie sieht es denn derzeit mit der Vermarktung biozyklisch-veganer Produkte aus?
Das ist momentan eine der größten Herausforderungen für den biozyklisch-veganen Anbau. Wir haben uns in den vergangenen Jahren vor allem mit der Erzeugerseite befasst: nachweisen, dass biozyklisch-veganer Anbau möglich ist, interessierte Betriebe zur Umstellung motivieren, die Potentiale des biozyklisch-veganen Anbaus in der Öffentlichkeit kommunizieren. Das ist weitestgehend gelungen. Inzwischen sind europaweit etwa 50 landwirtschaftliche Betriebe biozyklisch-vegan zertifiziert. Sie produzieren Tausende von Tonnen an Getreide, Bohnen, Obst, Südfrüchten und Gemüse, aber auch Oliven- und Kürbiskernöl, Wein, Apfelsaft usw.
Zwar gibt es bereits im kleinen Rahmen Möglichkeiten der Direktvermarktung (Onlineshops, Abo-Gemüsekisten, Hofverkauf, Solidarische Landwirtschaft), aber der Großteil der Produktion wird weiterhin nicht unter dem Biozyklisch-Veganen Gütesiegel, sondern nur unter dem EU-Ökolabel oder unter den Siegeln der verschiedenen Bioverbände vermarktet, weil die großen Verarbeitungsunternehmen und Handelsketten noch nicht dazu bereit sind, das noch relativ unbekannte Label in ihre Vermarktungsstrategien mit aufzunehmen. Wenn es aber nicht gelingt, für biozyklisch-vegane Produkte auch den entsprechenden Absatz über die etablierten Handelskanäle zu gewährleisten, so werden sich wohl zwangsläufig alternative Vermarktungsformen bilden, wie es in den 1980er Jahren bei der Entstehung des Naturkosthandels bereits einmal der Fall war.
Welche Möglichkeiten sehen Sie, die Vermarktung biozyklisch-veganer Produkte voranzutreiben?
In unserem eingangs erwähnten Verbändevorhaben „Veganer Ökolandbau“ (VegÖL) wurde die Problematik intensiv analysiert, und es ist in diesem Zusammenhang auch eine Masterarbeit entstanden. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass neben der landwirtschaftlichen Erzeugung die gesamte Wertschöpfungskette über die Verarbeitung, den Handel und den Konsum noch intensiver adressiert werden muss. Insbesondere dem Verarbeitungsbereich kommt hier eine entscheidende Rolle zu.
Nehmen wir an, ein großer Hersteller von veganen Produkten, z. B. von Hafermilch oder Tofu, würde das Potential des biozyklisch-veganen Anbaus voll erkennen und eine Produktlinie aufbauen, die unter dem Biozyklisch-Veganen Gütesiegel intensiv beworben wird, so kann das eine Signalwirkung auf die gesamte Branche haben. Denn die Botschaft wäre ja, dass es sich hier um Produkte handelt, die erstmals „konsequent vegan“ sind. Dass die Produkte also nicht nur von ihren Zutaten her, die ja immer noch aus einer auf der Tierhaltung basierenden Landwirtschaft stammen können, sondern bereits von ihrem Anbau her, also „ab Feld“, nicht mit der Tierhaltung und mit aus der Tierhaltung stammenden Dünge- und Betriebsmitteln in Berührung gekommen sind, was durch das Biozyklisch-Vegane Gütesiegel garantiert wird. Eine Revolution in der Wahrnehmung!
Und wenn die Botschaft beim Konsumenten ankommt, wird dieses automatisch die Nachfrage erhöhen, was auch andere Verarbeitungsunternehmen dazu bewegen wird, sich mit Rohstoffen aus biozyklisch-veganem Anbau zu befassen und entsprechende Produktlinien aufzulegen. Das wiederum wird den Nachfragesog erhöhen und Landwirte, die jetzt schon von den Möglichkeiten des biozyklisch-veganen Anbaus überzeugt sind, dazu motivieren, sich zertifizieren zu lassen und damit mehr biozyklisch-vegane Produkte für den Markt zur Verfügung zu stellen.
Was sind die Ziele des Förderkreises Biozyklisch-veganer Anbau für das Jahr 2023?
Als gemeinnütziger Verein wird sich der Förderkreis Biozyklisch-Veganer Anbau e. V. darauf fokussieren, die Etablierung des biozyklisch-veganen Anbaus mit all seinen Vorteilen für Umwelt, Klima, Natur, Gesundheit – und natürlich die Tiere – entlang der gesamten Lebensmittelwertschöpfungskette umfassend zu begleiten und in der Öffentlichkeit bekannt zu machen, z. B. über Schulungs- und Bildungsveranstaltungen, Informationsangebote für Handel und Verarbeitung zum biozyklisch-veganen Anbau usw. Darüber hinaus ist auch eine Zusammenarbeit mit Hochschulen geplant, um dort gemeinsam ein Wahlpflichtmodul für Agrarstudenten zu entwickeln, um hier bereits in der Ausbildung der Landwirte die Weichen neu zu stellen.
Einen besonderen Fokus werden wir auch auf die Kontaktaufnahme zu verschiedenen Handels- und Verarbeitungsunternehmen legen, um gemeinsam mit ihnen Wege zu entwickeln, biozyklisch-vegane Produktlinien am Markt zu positionieren und dieses auch im Rahmen unserer Öffentlichkeitsarbeit intensiv zu begleiten.
Ein erster Anlaufpunkt wird hier wiederum die Biofach-Messe sein, die dieses Jahr vom 14. bis zum 17. Februar in Nürnberg stattfindet. Erstmals wird es dort einen Gemeinschaftsstand biozyklisch-veganer Erzeuger und Verarbeiter geben, an dem auch der Förderkreis präsent sein wird. Wir freuen uns schon auf einen intensiven Austausch mit wichtigen Branchenplayern und sind davon überzeugt, dass sich daraus neue Partnerschaften ergeben, die im Laufe des Jahres zum Tragen kommen werden.
Auch 2023 wird der Förderkreis mit einem Stand auf den Öko-Feldtagen vertreten sein, die diesmal vom 14. bis zum 15. Juni in Ditzingen in der Nähe von Stuttgart stattfinden. Darüber hinaus wird der Förderkreis auch zunehmend in der Öffentlichkeit durch Presseartikel, Vorträge, Teilnahme an Konsum-Messen (Veggieworld, Veggienale) usw. präsent sein und das Thema voranbringen.
Auch international geht die Entwicklung voran. In verschiedenen europäischen Ländern gibt es bereits Organisationen, die sich zusammen mit dem deutschen Förderkreis im International Biocyclic Vegan Network zusammengeschlossen haben. Aber auch weltweit wächst das Interesse am biozyklisch-veganen Anbau. In Kanada gibt es bereits ein erstes zertifiziertes Weingut, und in mehreren südamerikanischen Ländern bereiten sich Betriebe auf die Zertifizierung vor.
2023 wird für die biozyklisch-vegane Bewegung ein weiteres spannendes Jahr!
Herr Anders, wir danken Ihnen für das Gespräch und wünschen Ihnen weiterhin viel Erfolg bei Ihrer wertvollen Pionierarbeit!
Weitere Informationen finden Sie unter www.biozyklisch-vegan.org.