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Im Interview mit Wirtschaftsprofessor Dr. Nick Lin-Hi: „Bei kultiviertem Fleisch ist die Wertschöpfungskette kürzer und die Logistik weniger komplex.“

250.000 Euro für einen Burger? Wenn Medien über kultiviertes Fleisch berichten, fällt in den meisten Fällen irgendwann diese Summe. Denn so viel hat die Entwicklung des ersten Burgers aus In-Vitro-Fleisch gekostet, der 2013 in London der Öffentlichkeit präsentiert wurde. Und „250.000 Euro für einen Burger“ klingt schmissiger als „250.000 Euro für die Entwicklung eines Burgers“.

Mittlerweile geben die Unternehmen der Branche viel geringere Produktionskosten für kultiviertes Fleisch an. Doch laut einer Marktanalyse der niederländischen Beratungsfirma CE Delft müssen für ein Kilogramm Kulturfleisch immer noch mindestens 15 Euro kalkuliert werden. Damit wäre die Herstellung der Innovation zwar extrem im Preis gesunken, aber immer noch zehnmal teurer als beispielsweise Schweinefleisch aus Deutschland. Ganz schön happig könnte man meinen. Aber längst kein Grund, den Glauben an Clean Meat zu verlieren. Der Wirtschaftsprofessor Dr. Nick Lin-Hi von der Universität Vechta hält es für möglich, dass kultiviertes Fleisch langfristig billiger sein wird als konventionell erzeugtes Fleisch.

Im Interview mit uns erklärt Dr. Nick Lin-Hi den potenziellen Preisvorteil von kultiviertem Fleisch. Er erläutert, warum der Sprung in die industrielle Produktion so wichtig ist und was in Deutschland getan werden müsste, um den Anschluss in diesem Bereich nicht zu verlieren.

Herr Lin-Hi, warum kann Kulturfleisch günstiger sein als Schlachtfleisch?

Bei kultiviertem Fleisch entfallen die Aufzucht, die Mästung und die Schlachtung der Tiere. Hier sind ganz viele Unternehmen involviert, die alle ein Stück vom Wertschöpfungskuchen abbekommen. Bei kultiviertem Fleisch ist die Wertschöpfungskette kürzer und die Logistik ist weniger komplex. Eben dies ist die Quelle für geringere Kosten.

© Visualmind – stock.adobe.com

Was muss geschehen, damit wir diesen Vorteil auch beim Preis von kultiviertem Fleisch sehen?

Die Herstellung muss den Sprung raus aus dem Labormaßstab und rein in die industrielle Produktion schaffen. Das ist gleichbedeutend damit, dass die Produktionsmengen steigen. Relevant ist dies, da dann auch die Kosten sinken, etwa beim Einkauf. Wir kennen das von unserem eigenen Einkaufserlebnis: Es macht einen Unterschied, ob ich auf dem Wochenmarkt einzelne Möhren kaufe oder diese beim Großhandel in Kisten beziehe.

Allerdings muss man natürlich auch die größeren Mengen verarbeiten können. Damit das bei kultiviertem Fleisch klappt, sind noch einige technische Herausforderungen zu lösen. Ein Beispiel: Die Kultivierung in einem Glaskolben mit 500 Millilitern verhält sich anders als in einem Edelstahlreaktor mit 5000 Litern.

Auch das Nährmedium, in dem kultiviertes Fleisch wächst, gilt als Kostentreiber…

Richtig, das Nährmedium gehört aktuell zu den großen Kostenfaktoren bei der Herstellung von kultiviertem Fleisch.  Ein Grund hierfür ist, dass Nährmedien bislang in Medizin und Forschung genutzt wurden, und in der Herstellung ein teurer pharmazeutischer Standard gilt. Zudem sind die nachgefragten Mengen verhältnismäßig klein. Es entwickelt sich aber gerade eine eigene Wertschöpfungskette für die Herstellung von kultiviertem Fleisch, was die Kosten deutlich senken dürfte.

Das sehr teure und ethisch fragwürdige Kälberserum, das ursprünglich in der Zellforschung angewendet und dem Medium zugesetzt wurde, will die Clean-Meat-Branche ohnehin nicht nutzen. Jedoch sind die Alternativen – also so genannte serumfreie Medien – auch nicht billig.

Die Startups wissen, dass Kälberserum ein Akzeptanzkiller für kultiviertes Fleisch ist. Entsprechend wird rund um den Globus an Alternativen hierzu geforscht. Mittlerweile wurde auch bereits nachgewiesen, dass rein pflanzliche Medien funktionieren. Wir sind hier allerdings nach wie vor in der Entwicklungsphase. Entsprechend teuer sind derzeit auch die Herstellkosten. Aber auch hier werden wir mit der Zeit günstigere Preise sehen.

Allerdings hätten wir hier bereits deutlich weiter sein können, wenn man die Entwicklung von pflanzlichen Medien konsequent in den Bereich der staatlich finanzierten Grundlagenforschung verortet hätte. Mit Blick auf Forschungsförderung darf man noch anmerken, dass diese hierzulande recht überschaubar ist.

© DanielMendler – stock.adobe.com

In anderen Ländern erfährt die Branche mehr Unterstützung.

In den Niederlanden und Großbritannien beispielsweise wird viel mehr investiert. Deutschland ist in Bezug auf kultiviertes Fleisch noch recht zurückhaltend. Angesichts der Größe des Landes sowie der Relevanz der Agrar- und Ernährungsindustrie haben wir, positiv formuliert, noch einiges an Potenzial. Dieses Potenzial sollten wir schleunigst heben, sonst droht uns in wenigen Jahren der Tesla-Moment: Unsere Industrie wird eines Morgens aufwachen und feststellen, dass sie nicht mehr wettbewerbsfähig ist.

Was müsste jetzt getan werden, um den Anschluss nicht zu verlieren?

Was wir brauchen, ist eine koordinierte Kraftanstrengung von allen Akteuren in der Agrar- und Ernährungsindustrie – angefangen von den Landwirten bis hin zum Einzelhandel und der Politik. Es muss geschaut werden, welche Kompetenzen der Einzelne hat und wie sich diese neu nutzen lassen. Wir brauchen eine Vision, einen Masterplan, wie die Zukunft der Fleischerzeugung aussieht und welche Rolle wir hierbei spielen können.

Ausgehend davon können wir dann Handlungsfelder definieren, welche für Deutschland vielversprechend sind. Wir haben hierzulande eine Vielzahl an Potenzialen, sodass ich davon überzeugt bin, dass wir erfolgreich im Markt der Zukunft tätig sein könnten. Wir müssen allerdings wollen und dürfen uns nicht von der Angst vor Veränderung lähmen lassen. Zu gestalten ist typischerweise besser als abzuwarten und zuzuschauen, was andere machen.

Was wird mit den Landwirten, wenn kultiviertes Fleisch das Schlachtfleisch ablöst?

Hier ist zunächst festzustellen, dass die Nachfrage nach Fleisch weiter zunehmen dürfte. Aufgrund von Bevölkerungswachstum, 2050 könnten zehn Milliarden Menschen auf der Erde leben, und steigendem Wohlstand auf globaler Ebene wird erwartet, dass wir bis 2050 eine Nachfragesteigerung nach Fleisch von 60 Prozent und mehr haben werden. Entsprechend ist kultiviertes Fleisch erst einmal eine Möglichkeit, um die zusätzliche Nachfrage bedienen zu können.

Parallel dazu können wir schauen, wie die Landwirtschaft hier eingebunden werden kann. Ansatzpunkte sind beispielsweise der Anbau von Rohstoffen für das Nährmedium, um Zellen zu füttern. Zudem gibt es Gedankenspiele wie von RESPECTfarms. Der Ansatz dieser Stiftung beschreibt zum Beispiel, wie landwirtschaftliche Höfe in Produktionsstätten für kultiviertes Fleisch überführt werden könnten. Solche Gedankenmodelle sind wichtig, da sie neue Handlungsoptionen freilegen und damit Chancen aufzeigen.

© RESPECTfarms

Wie reagieren Landwirte auf solche Ideen?

Aktuell überwiegt hier noch die Skepsis und der erste Impuls ist oftmals eher Ablehnung von kultiviertem Fleisch. Gleichzeitig sehen wir aber auch, dass sich etwas in der Landwirtschaft bewegt. Der ein oder die andere ist interessiert an der neuen Technologie, wobei wir auch sehen, dass die jungen Landwirte hierbei tendenziell aktiver sind. Wir sind aber noch nicht in dem Stadium, dass die Landwirtschaft sich aktiv Gedanken darüber macht, wie ein Geschäftsmodell der Zukunft aussehen könnte.

Gegenwind sind Sie sicherlich gewohnt: Sie lehren seit 2015 an der Universität Vechta – also mitten in der Hochburg der norddeutschen Fleischzeugung. Wie passt es da überhaupt zusammen, dass Sie Verfechter des Kulturfleischs sind?

Ich beschäftige mich seit gut zwei Jahrzehnten mit der Frage, wie wir als Gesellschaft eine nachhaltige Entwicklung sicherstellen können. Mit dem heutigen Instrumentarium werden wir das eher nicht schaffen, daher brauchen wir disruptive Innovationen. In meiner Forschung beschäftige ich mich mit der Frage, wie wir in Wirtschaft und Gesellschaft Offenheit und Akzeptanz für disruptive Innovationen befördern können.

Da unser heutiges Ernährungssystem, und hier insbesondere unser großer Hunger nach tierischen Proteinen, einen großen ökologischen Fußabdruck hat, lag es nahe, sich mit neuen Ansätzen wie dem Fleisch der Zukunft zu beschäftigen.

Als ein Zeichen dafür, dass sich zumindest die Agrarbranche für die Idee von Kulturfleisch öffnet, könnte gewertet werden, dass die Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG) im November 2023 den Ausschuss „New Feed & Food“ gegründet hat, bei dem Sie Mitglied sind.

Absolut, das ist ein starkes und wichtiges Zeichen. Der neue Ausschuss beschäftigt sich dabei allgemein mit alternativen Proteinen, zu denen auch kultiviertes Fleisch zählt. Ich bin sehr gespannt darauf, welche Impulse aus diesem Ausschuss für die Landwirtschaft erwachsen werden.

Die Gründungsmitglieder des neuen DLG-Ausschusses New Feed & Food (v.l.n.r.): Michael Gusko, Prof. Dr. Katharina Riehn (DLG-Vizepräsidentin), Inka Scharf (DLG), Prof. Dr. Nils Borchard (DLG), Dr. Stefan Pecoroni, Prof. Dr. Nick Lin-Hi, Jörg Ullmann, Florentine Zieglowski und Prof. Dr. Tilo Hühn © DLG e.V

Auch in anderen Zusammenschlüssen engagieren Sie sich für die Clean-Meat-Idee. Im Oktober 2023 haben Sie zur ersten wissenschaftliche Fachtagung „Fleisch der Zukunft“ an die Uni Vechta eingeladen.

Die Veranstaltung ist Teil der vom Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur geförderten Zukunftsdiskurse. Etwa 30 Expertinnen und Experten aus ganz unterschiedlichen Fachdisziplinen sind hier zusammengekommen, um kultiviertes Fleisch aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten und sich untereinander zu vernetzen. Es war übrigens die erste wissenschaftliche Tagung zu kultiviertem Fleisch in Deutschland.

Was ist dabei herausgekommen?

Die Komplexität der neuen Technologie ist noch einmal sehr deutlich geworden. Hieraus erwächst auch die Notwendigkeit, die Technologie Menschen erklären zu können, um mögliche Ängste zu nehmen. Wir können als Gesellschaft nicht erwarten, dass Menschen direkt von kultiviertem Fleisch überzeugt sind. Um Offenheit für die neue Möglichkeit zur Fleischzeugung zu schaffen, müssen wir erst einmal auf Daten und Fakten basierte Informationen bereitstellen. Genau hierauf sind die Zukunftsdiskurse ausgerichtet, welche auch noch Dialoge mit Bürgern sowie eine einfach verständliche interdisziplinäre Publikation für die Allgemeinheit beinhaltet.

Also eine Art Öffentlichkeitsarbeit?

Um die Transformation zu schaffen, muss man die Öffentlichkeit von Beginn an mitnehmen und die Debatte auf eine rationale Basis stellen. Sonst besteht die Gefahr, dass diese neue Technologie wie so vieles anderes – ich sage nur Wärmepumpe – zerrissen und in den Boden gestampft wird.

Herr Professor Lin-Hi, wir bedanken uns für das Gespräch.

Weitere Informationen: uni-vechta.de/wirtschaft-und-ethik/professur-fuer-wirtschaft-und-ethik

Dieses Interview wurde geführt und zur Verfügung gestellt von der Journalistin Susanne van Veenendaal. Im Rahmen eines Buchprojekts über kultiviertes Fleisch, das den Titel „Die neue Fleischkultur – Warum Cultured Meat gut für Tier, Mensch und Umwelt sein kann“ tragen wird, an dem Susanne van Veenendaal gemeinsam mit Christoph Werner und Bastian Huber von cultured-meat.shop arbeitet, spricht sie mit verschiedenen deutschen Unternehmen, Forschern und Initiativen der Branche.

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