Interviews

Pflanzenbasierte Produkte: Vom Trend zum Mainstream

pflanzlicher wrap
© shutterstock / JoshuaResnick

Von allen aktuellen Trends in der Lebensmittelindustrie ist der Boom der pflanzenbasierten Rohstoffe und Produkte derjenige, der die Industrie am tiefgreifendsten verändert. Anlässlich der Vorstellung des Fi Global insights Plant-based Report 2022 sprachen wir im Interview mit Kinga Wojcicka-Swiderska, Head of Content Food Informa Markets, über den Megatrend sowie über die Chancen und Herausforderungen, die damit einhergehen.

Frau Wojcicka-Swiderska, sie haben einen hervorragenden Rundumblick über die Lebensmittel- und Ingredients-Industrie weltweit. Was unterscheidet den Trend zu pflanzenbasierten Produkten und Inhaltsstoffen von all den anderen Trends, die wir in der Lebensmittelindustrie beobachten?

Dies ist ein Trend, der zum Mainstream wird, beschleunigt durch viele parallele Entwicklungen: Klimakrise, Corona-Krise, Anstieg der Weltbevölkerung, die massive Zunahme von Zivilisationskrankheiten einerseits und ein gestiegenes Bewusstsein für Nachhaltigkeit, gesunde Ernährung und Tierwohl andererseits.

Man kann davon ausgehen, dass eine überwiegend pflanzenbasierte Ernährung in zahlreichen Bevölkerungsgruppen in nicht allzu ferner Zukunft zur Normalität wird. Dabei spielt auch die Demographie eine wichtige Rolle, denn jüngere Menschen sind tendenziell besorgter um die Zukunft des Planeten und offener für neue Ernährungsweisen.

milchalternative aus mandeln
© katrinshine – stock.adobe.como

Mit Blick auf Verbraucher und den Markt, welches sind die wichtigsten Entwicklungen?

Die wichtigste Käufergruppe für Fleisch- und Milchalternativen ist derzeit die wachsende Zahl der Flexitarier. Das Angebot an erstklassigen Produkten, die eine pflanzliche Ernährung abwechslungsreicher, schmackhafter und leichter umsetzbar machen, steigt kontinuierlich. Dies ist natürlich ein wechselseitiger Effekt, denn auch die Nachfrage nach solchen Produkten wächst. Selbst Discounter räumen pflanzlichen Alternativen immer mehr Platz in den Regalen ein. Die österreichische Kette Billa beispielsweise hat kürzlich einen Supermarkt eröffnet, der ausschließlich pflanzliche Produkte führt. Das wäre noch vor wenigen Jahren unvorstellbar gewesen.

Was ist mit Blick auf die Industrie an diesem Trend zu beobachten?

Zum einen ist die Geschwindigkeit enorm, mit der Hersteller neue pflanzenbasierte Produkte auf den Markt bringen, ganz gleich, ob es sich dabei um Fleischalternativen, Milchalternativen oder um andere Kategorien wie vegane Energieriegel oder einfach vegetarische oder vegane Fertiggerichte handelt. In diesem Segment ist Rapid Prototyping eher schon die Regel und die Anzahl der Produktlaunches ist schwindelerregend.

Zum anderen sehen wir, dass viele fleischverarbeitende Betriebe und Molkereien jetzt ihr Portfolio um pflanzliche Alternativen erweitern. Sie tun das einerseits, weil sie die Attraktivität des Geschäftsfelds erkennen, aber sicher auch, weil sie ihre eigene Zukunft absichern müssen. Innerhalb der Ingredients-Branche beobachten wir, dass zahlreiche Anbieter von Inhaltsstoffen ihre Portfolios ausbauen und umstellen, zum Teil im großen Stil Kapazitäten erweitern oder sogar eigene Business Units oder Unternehmen für dieses Segment gründen.

hülsenfrüchte
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In welchen Bereichen sehen Sie die meiste Entwicklung?

Sehr spannend zu beobachten: Die Entwicklung findet in nahezu allen Bereichen statt. Mit Blick auf die Rohstoffe steigt die Vielzahl der Proteinquellen. Wo man früher nur an Soja, Hafer, Weizen oder Mandeln dachte, nutzt man inzwischen auch Erbsen, Lupinen, Ackerbohnen oder auch Pilze und zahlreiche andere Quellen wie Algen und fermentierte Produkte.

Ein wichtiger Aspekt ist mittlerweile auch die Nachhaltigkeit: Regionalität und ein möglichst geringer Ressourcenverbrauch beim Anbau sind durchaus Kriterien, die für Verbraucher eine Rolle spielen. Auch in Sachen Verarbeitungstechnologie passiert viel, denn Hersteller arbeiten an schonenden physikalischen Verfahren, die Zusatzstoffe möglichst überflüssig machen sollen. Und ganz große Fortschritte gibt es im Bereich der Sensorik.

Vor welchen Herausforderungen steht die Industrie mit Hinblick auf diese Produktkategorien?

Zum einen sind die Verfügbarkeit von Rohstoffen und die kontinuierliche Belieferung nicht gesichert: Die Auswirkungen von Corona, unsichere Lieferketten, Ernte- und Personalausfälle sind aktuell noch problematisch. Eine weitere Herausforderung ist, den Verarbeitungsgrad der pflanzenbasierten Produkte weiter zu reduzieren – sei es durch neue Verfahren oder auch durch neue Verpackungslösungen, die den Einsatz von Konservierungsmitteln oder anderen Zusatzstoffen überflüssig machen. Und viele Milch- oder Fleischalternativen liegen, was das Nährwertprofil betrifft, hinter dem „Original“ zurück. Deshalb ist es wichtig, Produkte so zu formulieren oder auch mit Nährstoffen anzureichern, dass das ernährungsphysiologische Profil alle wichtigen Nährstoffe in ausreichender Menge abdeckt. Auch die Preisgestaltung wird häufig diskutiert, denn gute Rohstoffe sind teuer, und Verbraucher müssen nicht nur willens, sondern auch in der Lage sein, dafür entsprechend zu zahlen.

fi europe logo
© Informa Markets

Was erwarten Verbraucher in Sachen Transparenz und Kommunikation?

Verbraucher sind sehr sensibel, wenn es um das Thema „Greenwashing“ geht. Sie wünschen sich ehrliche Produkte und eine ehrliche Kommunikation. Gerade beim Marketing ist hier Sensibilität gefragt. Auch steigt das Interesse am Ursprung der Rohstoffe: Woher kommen sie, wie werden sie angebaut, und was bedeutet das für die Menschen dort vor Ort?

Unternehmen, die ihre Lieferketten offenlegen und für Transparenz sorgen, sammeln bei Verbrauchern Pluspunkte. Das gilt zwar für alle Produktkategorien, aber gerade die Fleisch- und Milchalternativen, die ja durchaus für Ethik und Nachhaltigkeit stehen, werden noch kritischer betrachtet. Auch die Bedeutung der passenden Verpackung ist nicht zu unterschätzen. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Story. Viele pflanzliche Produkte haben ein junges und trendiges Image und sind Lifestyle-Produkte. Wenn sich dann noch eine tolle Geschichte rund um das Produkt erzählen lässt, umso besser.

Wenn sich beispielsweise Startups für die Entwicklung solcher Produkte interessieren: Wo fangen sie am besten an?

Ein guter Einstieg zur Orientierung ist auf jeden Fall der Besuch der Fi Europe 2022 im Dezember in Paris, alternativ die Teilnahme online. Die Messe bietet einen guten Überblick über entsprechende Ingredients, Produktkonzepte und Lösungen und Events laden zum Netzwerken ein. Auch das Konferenzprogramm bietet zahlreiche Sessions rund um pflanzenbasierte Produkte und entsprechende Inhaltsstoffe, Markt- und Konsumentenforschung, oder auch Produktentwicklung und Formulierung. Meine persönliche Empfehlung ist außerdem der Fi Global insights Plant-based Report 2022, der kostenlos zum Download bereitsteht.

Frau Wojcicka-Swiderska, wir bedanken uns für das informative Gespräch.

 

Der Fi Global insights Plant-based Report 2022 ist unter folgendem Link abrufbar: https://issuu.com/figlobalinsights/docs/plant-based_report_2022_fie2022.

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