Politik & Gesellschaft

foodwatch fordert Aus für die „Initiative Tierwohl“ und die Pläne für ein staatliches „Tierwohl“-Siegel

Anlässlich des Welttierschutztages am 4. Oktober hat die Verbraucherorganisation foodwatch den Handel aufgefordert, die sogenannte „Initiative Tierwohl“ zu beenden. Außerdem solle Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt seine Pläne für ein staatliches Tierwohl-Siegel aufgeben. Beides ist nach Auffassung von foodwatch eine Scheinlösung, die den Tieren wie auch den Bäuerinnen und Bauern und den Verbraucherinnen und Verbrauchern eher schadet als nutzt.„Die freiwilligen Initiativen schaffen – wenn überhaupt – nur für einen kleinen Teil der Nutztiere messbar bessere Lebensbedingungen. Angesichts der Epidemie von haltungsbedingten Krankheiten bei hunderttausenden von Tieren ist es geradezu zynisch, den Eindruck zu erwecken, damit würden die haarsträubenden Probleme in der Tierhaltung gelöst. Die Präsentation immer neuer Scheinlösungen führt nur dazu, dass eine ernsthafte Lösung der Probleme gar nicht diskutiert, sondern auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben wird“, kritisierte der stellvertretende foodwatch-Geschäftsführer Matthias Wolfschmidt.

Die „Initiative Tierwohl“, an der sich vor allem die großen Handelskonzerne um Edeka, Lidl, Rewe, Aldi und Metro beteiligen, bezeichnete Wolfschmidt als „schlechten PR-Gag“, mit dem die Unternehmen von ihrer Verantwortung für die inakzeptablen Lebensbedingungen der Nutztieren ablenken wollten. foodwatch kritisierte, dass mit vorwiegend kosmetischen Maßnahmen die Lebensbedingungen für die Tiere nicht substantiell verbessert werden könnten. Den Bäuerinnen und Bauern werde nicht annähernd genügend Geld ausgezahlt, um eine nachweislich tiergerechte Haltung zu erreichen. Stattdessen werde den Verbraucherinnen und Verbrauchern vorgemacht, die Produkte aus den Supermärkten entstammten einer tiergerechten Haltung.

Auch das von der Bundesregierung angekündigte staatliche Tierwohl-Siegel, das allein die Produkte von sich freiwillig beteiligenden Unternehmen tragen würden, bezeichnete Wolfschmidt als inakzeptabel. Die Bundesregierung versuche sich damit um die überfällige Zielvorgabe zu drücken, dass nicht nur für einzelne, sondern für alle Nutztiere tiergerechte Bedingungen durchgesetzt werden müssen. Denn sollten die Kriterien für die Vergabe des Siegels auch noch so gut sein und selbst wenn es Produkte mit dem Siegel auf einen Marktanteil von 20 Prozent brächten, wie derzeit nur Optimisten es für möglich halten, nähme es die Bundesregierung damit in Kauf, dass 80 Prozent der Tiere unter nicht tiergerechten Bedingungen leiden müssen. Auch die von den Grünen ins Gespräch gebrachte, an die bekannten Eier-Stempel angelehnte 0-1-2-3-Kennzeichnung für Fleisch ist aus Sicht von foodwatch verfehlt, weil auch sie weiterhin die Wahl zwischen besseren und schlechteren Haltungsbedingungen lässt und Fragen der Tiergesundheit überhaupt nicht berücksichtigt.

„Wir haben es mit einem System zu tun, bei dem die Handelskonzerne Tierqual einkalkulieren, um billige Rohstoffe zu bekommen. Einem System, das Tierhaltern kaum finanzielle Möglichkeiten gibt, um die notwendigen Verbesserungen konsequent anzugehen“, sagte Matthias Wolfschmidt. „Um das zu ändern, bedarf es keiner Werbegags und Almosen für die Nutztiere, sondern eines Systemwechsels: Unter welchen Umständen Tiere gehalten werden, darf nicht länger vom Wettbewerb und vom Preisdruck des Handels abhängen. Tiergerechtheit muss für alle Nutztiere garantiert sein und die Voraussetzung dafür, dass ein Tierprodukt in den Handel kommen darf.“

In seinem vor zehn Tagen im Verlag S. Fischer erschienenen Buch „Das Schweinesystem – Wie Tiere gequält, Bauern in den Ruin getrieben und Verbraucher getäuscht werden“ zeigt der Veterinärmediziner Matthias Wolfschmidt einen Weg auf, der zu einer flächendeckend tiergerechten Haltung führen kann:

Eine tiergerechte Haltung muss demnach für alle Nutztiere vorgeschrieben sein.
Wie viele Tiere an haltungsbedingten Krankheiten leiden, muss für jeden Betrieb erfasst werden – daraus werden verbindliche Zielvorgaben abgeleitet, orientiert an den besten Betrieben der Branche.
Die formalen Haltungskriterien (Stallgröße, Auslauf, Beschäftigungsmöglichkeiten etc.) müssen es allen Tieren ermöglichen, arteigene Verhaltensweisen so gut wie möglich auszuüben, ohne Verhaltensstörungen zu entwickeln.
Auf den Markt kommen dürfen nur noch solche Produkte mit tierischen Bestandteilen, die die Tierschutzvorgaben nachweislich einhalten. Die Mehrkosten müssen am Ende wir Verbraucher bezahlen, denn wir schulden den Tieren eine bessere Behandlung.
Das Konzept muss EU-weit umgesetzt werden, verbunden mit einem Vermarktungsverbot für nicht-tiergerecht erzeugte Lebensmittel aus Drittstaaten. Andernfalls würden europäische Tierhalter verdrängt durch nicht-europäische Konkurrenten, die weiterhin zu schlechteren Standards produzieren – ohne, dass für die Tiere etwas erreicht wäre.

In einem 2015 veröffentlichten Gutachten hatte der Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik beim Bundeslandwirtschaftsministerium das Ausmaß der Tierschutzprobleme in deutschen Ställen als „aus fachlicher Sicht nicht akzeptabel“ eingestuft. Im Buch „Das Schweinesystem“ weist Matthias Wolfschmidt neben oft unzureichenden Haltungsformen auf das Problem von Produktionskrankheiten hin. Einer Auswertung wissenschaftlicher Studien zufolge müssen Verbraucherinnen und Verbraucher davon ausgehen, dass mindestens jedes vierte Tierprodukt von einem kranken Nutztier stammt. Massenhaft werden die Nutztiere unter den heutigen Marktbedingungen krank und verhaltensgestört gemacht. So werden etwa an Schlachthöfen bei jedem dritten Schwein mehr oder weniger massive Lungenentzündungen, Leber- oder Gelenkschäden festgestellt. Das Fleisch dieser Tiere wird uns als ganz normales ‚gesundes‘ Lebensmittel verkauft. Ähnlich dramatische Verhältnisse beschreiben wissenschaftliche Studien in der Hühnermast, bei Legehennen oder bei Milchkühen.

Matthias Wolfschmidt: „Das Schweinesystem – Wie Tiere gequält, Bauern in den Ruin getrieben und Verbraucher getäuscht werden“. Erschienen am 22. September 2016 im S. Fischer Verlag. 235 Seiten, 18 Euro.

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