Markt & Trends

Ein Gastbeitrag von ProVeg International

Bundestagswahl 2021: Welche Parteien stehen für einen Ernährungswandel?

© Proveg International

Wofür die Parteien stehen

Pflanzliche Lebensweisen, Tierschutz, Ernährungs- und Landwirtschaftspolitik werden immer relevanter in der Öffentlichkeit. Trotzdem sind diese Themen in der Politik nicht prominent auf der Tagesordnung. Auch in den Wahlprogrammen der Parteien finden sich wenige oder nur vage Absichten zu einer Veränderung des Status quo. Wem diese Themen am Herzen liegen, muss erst intensive Recherche betreiben, um die Partei zu finden, die die eigenen Interessen am besten vertritt. 

ProVeg hat sich mit 8 Fragen zu Themen rund um Tierhaltung und pflanzliche Ernährungsweisen an die Parteien gewandt. Eine Frage lautete zum Beispiel: „Wird sich Ihre Partei dafür einsetzen, dass öffentliche Cafeterien und Kantinen als Standard täglich pflanzliche (vegane) Gerichte anbieten?“ Für die Befragung wurden die aktuell im Bundestag vertretenen Parteien ausgewählt, die einen Teil ihres Wahlprogramms Themen zu (pflanzlicher) Ernährung und/oder Tierrechten widmen. Leider hat die FDP nicht auf unsere Anfrage reagiert – ihre Positionen konnten wir daher lediglich dem Wahlprogramm entnehmen. Außerdem haben wir uns die Wahlprogramme weiterer Parteien angeschaut, die sich eindeutig positiv zu pflanzlicher Ernährung und/oder Tierrechten bekennen. Eine Analyse der Inhalte aller Wahlprogramme finden Sie weiter unten.

Was die Menschen in Deutschland wollen

Um ein besseres Bild der Meinungen der in Deutschland lebenden Menschen zum Thema zu bekommen, hat ProVeg im Mai 2021 eine repräsentative Umfrage durch das Meinungsforschungsinstitut Civey in Auftrag gegeben. Hier wurden dieselben Fragen gestellt, die auch für die Wahlprüfsteine der Parteien verwendet wurden. Neben den persönlichen Meinungen wurden die Teilnehmenden zudem zu ihren Wahlabsichten befragt. Inwiefern sich die Wünsche der Bürgerinnen und Bürgern mit den politischen Standpunkten der voraussichtlich von ihnen gewählten Parteien decken, wird in der Übersicht deutlich. Diese finden hier.

Die Positionen im Detail

Das Ende der Massentierhaltung?

Auch wenn keine der im Bundestag vertretenen Parteien sich für ein Verbot der Massentierhaltung ausspricht – obwohl das laut Umfrage mit rund 70 % Zustimmung in der deutschen Bevölkerung durchaus mehrheitsfähig wäre – fordern SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke je eine Bindung der Tierhaltung an die Fläche. Die Forderung der Linken ist hier mit 1,5 Großvieheinheiten pro Hektar (GV/ha) am ambitioniertesten, während die Grünen keinen Wert angeben und die SPD 2 GV/ha (der Wert, der auch in der ökologischen Landwirtschaft vorgegeben ist) anstrebt. Auch die Ökologisch-Demokratische Partei (ödp) fordert einen Wert von 2 GV/ha. SPD und Linke wollen außerdem regionale Nährstoffkreisläufe schließen. V-Partei³ und Tierschutzpartei fordern jeweils eine Abschaffung der Tierhaltung. Für die Tierschutzpartei ist eine sogenannte „artgerechte“ Tierhaltung eine Übergangslösung. Die V-Partei³ will keine neuen Tierhaltungsbetriebe und Anlagen mehr genehmigen. CDU/CSU wollen Landwirtinnen und Landwirte beim Umbau der Tierhaltung auf Grundlage der Empfehlungen der Borchert-Kommission unterstützen, was ihrer Ansicht nach zu mehr Tierschutz, nicht aber zu einem Abbau der Tierbestände führen würde.

Öffentliche Gelder finanzieren die Tierindustrie

Dringend notwendig, um die Tierbestände zu reduzieren, ist ein Stopp der Finanzierung der Tierindustrie aus öffentlichen Geldern. SPD, Grüne, Linke und ödp sprechen sich alle für eine Knüpfung der EU-Agrarsubventionen an öffentliche Leistungen wie Klima-, Umwelt- und Tierschutz aus. Diese Gelder sind Teil der 13,2 Milliarden Euro jährlicher staatlicher Subventionen in die Tierhaltung, welche die Studie „Milliarden für die Tierindustrie“ (2021) kritisiert. Allerdings gibt es darüber hinaus weitere Stellen, an denen die Tierindustrie gefördert wird, auf die keine der Parteien eingeht und die CDU/CSU verneinen. Die Linkspartei stellt darüber hinaus Fördergelder für „die Profite der Verarbeitungs- und Vermarktungsindustrie“ und Bodenspekulation in Frage, macht allerdings keine Vorschläge für eine konkrete Umsetzung. Die FDP will EU-Agrarsubventionen insgesamt abbauen und die Tierschutzpartei will schädliche Subventionen korrigieren, indem diese durch eine verpflichtende Erstellung einer Gesamtökobilanz der industriellen Tierhaltung erkannt werden. Einzig die V-Partei³ wird ganz konkret und möchte Subventionen für die Massentierhaltung bis 2030 schrittweise abbauen.

Ausstiegshilfen für Tierhalterinnen und Tierhalter

© ProVeg e.V.

Auch eine Unterstützung von Tierhalterinnen und Tierhaltern beim Ausstieg ist ein wichtiges Mittel, das SPD, Grüne und Linke befürworten. Wo die Grünen vage bleiben und die Frage lediglich bejahen, will die SPD Förderanreize für Betriebe schaffen, die ihre Tierbestände zeitnah abstocken, und begrüßt Weiterbildungs- und Unterstützungsmaßnahmen. Die Linke spricht sich für ein „sozial gestaltetes Umbauprogramm“ inklusive Weiterbildungs- und Umschulungsprogrammen aus und beruft sich dabei auf Positivbeispiele aus den Niederlanden als Grundlage für Deutschland. Die Tierschutzpartei will Landwirtinnen und Landwirten, die aussteigen, eine bleibende Existenz sichern, während die V-Partei³ größere Betriebe bei der Umstellung auf bio-vegane Landwirtschaft unterstützen sowie ein Programm zur Förderung des direkten Verkaufs von bio-veganen Produkten an öffentliche Einrichtungen einführen möchte. CDU/CSU sprechen sich gegen Prämien oder Umschulungshilfen aus und betonen, dass es innerhalb der sozialen Marktwirtschaft die freie Entscheidung der Unternehmen sein sollte, was sie produzieren wollen. Um besonders junge Landwirtinnen und Landwirte für grüne Berufe zu begeistern, wollen sie die Vielfältigkeit der Landwirtschaft in einem Ideenwettbewerb aufzeigen, in dem auch pflanzliche Nahrungsmittel sichtbar gemacht werden sollen.

Die wahren Kosten von tierischen Produkten

Der aktuelle Markt ermöglicht keinen fairen Wettbewerb für pflanzliche Alternativen zu tierischen Produkten. Im Gegenteil: Tierische Produkte werden mit dem ermäßigten Steuersatz von 7 % besteuert, während für pflanzliche Alternativen der Regelsteuersatz von 19 % gilt. Um eine nachhaltigere, gesündere Ernährung attraktiver zu machen, muss die Politik hier eine Lenkungsfunktion einnehmen.

© ProVeg e.V.

Die Parteien vertreten sehr unterschiedliche Positionen. Die SPD argumentiert gegen eine Änderung der Steuersätze für bestimmte Produktkategorien, da diese ökologisch produzierte Lebensmittel benachteilige und die Lenkungsfunktion unklar sei. Währenddessen fürchtet die Linke, dass eine Erhöhung des Steuersatzes für tierische Lebensmittel ärmere Bevölkerungsschichten unverhältnismäßig stark treffen würde und hält stattdessen verbesserte Tierschutzgesetze und eine stärkere Ahndung von Tierschutzverstößen für zielführender. Für eine reduzierte Mehrwertsteuer für pflanzliche Grundnahrungsmittel will sie sich allerdings einsetzen. V-Partei³ und Grüne wollen eine höhere Besteuerung von tierischen Produkten. Die Grünen wollen dies durch einen Tierschutz-Cent erreichen und bauen außerdem auf eine ökologische Steuerreform, die Preise von pflanzlichen und tierischen Produkten ökologisch und sozial gerecht darstellt, sowie auf den reduzierten Mehrwertsteuersatz von 7 % für pflanzliche Milchalternativen. Die V-Partei³ geht noch einen Schritt weiter und will alle verarbeiteten pflanzlichen Lebensmittel mit 7 % besteuern. CDU/CSU berufen sich auf die Vorschläge der Borchert-Kommission, sprechen sich aber noch nicht klar für ein Instrument aus, sondern betonen die Steuererleichterung von regional produzierten Lebensmitteln.

Die Ernährungsumgebung macht den Unterschied

Um Verbraucherinnen und Verbrauchern die Wahl für eine nachhaltige, gesunde Ernährung zu erleichtern, sind äußere Faktoren wie die Produktauswahl im Supermarkt entscheidend. Die nächsten Fragen beschäftigen sich daher mit den Positionen der Parteien zu einer Veränderung der sogenannten Ernährungsumgebung.

Pflanzliche Gerichte in die öffentliche Verpflegung

© ProVeg e.V.

Die Erweiterung des Angebots pflanzlicher Speisen in der öffentlichen Verpflegung stößt auf große Zustimmung bei SPD, Grünen, Linken, Tierschutzpartei und V-Partei³. Die SPD stellt sich dazu ein größeres Angebot veganer und vegetarischer Gerichte in öffentlichen Kantinen und bessere Aufklärung über die Auswirkungen des eigenen Essverhaltens auf die Umwelt in Schulen vor, während die Grünen und die V-Partei³ sich für vollwertiges vegetarisches und veganes Essen im täglichen Angebot von Kitas, Schulen, Krankenhäusern, Pflegeheimen, Mensen und Kantinen einsetzen will. Die Linke spricht sich dafür aus, dass in öffentlichen Kantinen und Cafeterien als Standard täglich auch ein vegetarisches und veganes Angebot gibt, sowie für eine kostenfreie Kita- und Schulverpflegung nach den Standards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE), welche nur einen niedrigen Anteil an tierischen Produkten empfiehlt. Auch die Tierschutzpartei will das Angebot pflanzlicher Speisen in öffentlichen Einrichtungen beträchtlich erweitern. Die Union betont, dass öffentliche Einrichtungen bereits vegetarische und vegane Gerichte anbieten und wollen lediglich die DGE-Standards weiterentwickeln.

Einfache Informationen für Verbraucherinnen und Verbraucher

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Verbraucherinnen und Verbraucher wollen sich umwelt- und klimafreundlicher ernähren, es fehlt ihnen jedoch oft an Informationen über den ökologischen Fußabdruck von Lebensmitteln. Eine CO₂-Kennzeichnung von Lebensmitteln, die Auskunft über ihre Klimabilanz gibt, könnte Abhilfe schaffen. CDU/CSU wollen ein Nachhaltigkeitssiegel für konventionelle Agrarprodukte ergänzend zum Ökosiegel entwickeln. Die SPD prüft die Entwicklung eines verbindlichen staatlichen Labels, welches die verschiedenen Dimensionen der Nachhaltigkeit (Gesundheit, Soziales, Umwelt und Tierschutz) abdecken soll, bei welchen die CO₂-Bilanz ein wichtiges Kriterium darstellt. Die Grünen sprechen sich nicht speziell für ein Label aus, wollen allerdings die Transparenz über den ökologischen Fußabdruck von Lebensmitteln verbessern. Auch wenn die Linke betont, dass bessere Informationen für Verbraucherinnen und Verbraucher nicht ausreichen und es gezielte politische Maßnahmen für die Senkung von Ressourcenverbrauch und Emissionen braucht, befürwortet die Partei ein staatliches Klimalabel, wenn es verpflichtend für alle Produkte und Dienstleistungen gilt und es keine Faktoren auslässt, die für die CO₂-Bilanz relevant sind wie beispielsweise Landnutzungsänderungen im In- und Ausland.

Mit Innovationen den Wandel beschleunigen?

Um den Wandel hin zu einer nachhaltigen Ernährung zu schaffen, forschen sowohl Universitäten und Forschungseinrichtungen als auch Firmen an Alternativen zu tierischen Produkten. Produkte aus zellulärer Landwirtschaft haben das Potenzial, tierisches Protein nachhaltiger, gesünder und tierleidärmer als in der konventionellen Landwirtschaft herzustellen. Eine staatliche Förderung für Forschung an kultiviertem Fleisch zum Beispiel könnte die Entwicklung deutlich beschleunigen.

Die einzige Partei, die sich in ihrem Wahlprogramm dafür einsetzt, ist die FDP. Die SPD hält kultiviertes Fleisch für eine gute Alternative zur klassischen Nutztierhaltung, verweist aber lediglich auf bereits bestehende staatliche Fördermittel für Forschungsvorhaben, die für die Forschung an kultiviertem Fleisch relevant sein könnten. CDU/CSU verweisen ebenfalls auf bestehende Förderungen, wollen aber prüfen, inwieweit ein zusätzliches themenbezogenes Forschungsprogramm sinnvoll sein könnte. Grüne und Linke hingegen sehen das größte Potential in pflanzlichen Alternativprodukten.

Was wünschen sich die Wählerinnen und Wähler von ihren Parteien?

Die Analyse zeigt, dass die Themen Landwirtschaft und Ernährung gesellschaftlich relevanter werden. Der Vergleich der Parteipositionen mit den Meinungen der Wählerinnen und Wähler aus der Umfrage verdeutlicht außerdem, wie viel mehr Ambitionen sich die Menschen von den Parteien wünschen, die sie voraussichtlich wählen werden. 

Keine der aktuell im Bundestag vertretenen Parteien bekennt sich beispielsweise klar für ein Verbot der Massentierhaltung oder einen Stopp der finanziellen Förderung, während ein Großteil ihrer jeweiligen Wählerinnen und Wähler sich klar dafür ausspricht. Fast 88 % der Wählerinnen und Wähler der SPD, 94 % der Grünen und knapp 74 % der CDU/CSU sind gegen Subventionen für die industrielle Tierhaltung. Auch bei anderen Fragen gibt es ein klares Bekenntnis zu einem Ernährungswandel: Knapp die Hälfte der Menschen mit Wahlabsicht CDU/CSU wünscht sich, dass tierische Produkte mehr kosten sollen, genauso wie über 60 % mit Wahlabsicht SPD und rund 62 % mit Wahlabsicht Linke – die jeweiligen Parteien sind allerdings dagegen. Auch bei der Frage, ob es eine staatliche Förderung für kultiviertes Fleisch geben sollte, widerspricht sich der Wille einiger Parteien mit jenem der Bürgerinnen und Bürger: Über 55 % derer mit Wahlabsicht grün und fast 49 % derer mit Wahlabsicht links wollen nämlich solch eine Förderung.

Wie in der Übersicht deutlich wird, stimmen die Meinungen der Wählerinnen und Wähler und der jeweiligen Parteien auch bei einigen Fragen überein. Klar wird dennoch: Während die Menschen bereit für den Ernährungswandel hin zu einer pflanzlicheren Ernährung scheinen und sich eine starke Lenkungsfunktion der Politik wünschen, hinken die Pläne und Versprechen der Parteien oftmals noch hinterher. Mit Ihrer Stimme bei der kommenden Bundestagswahl können Sie mitentscheiden, wie die Zukunft der Ernährung und Landwirtschaft aussehen wird.

Die Originalnachricht finden Sie unter www.proveg.com/de/bundestagswahl2021.

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