Wie schafft man es, dass alternative Proteinquellen eine größere Rolle auf dem Markt spielen? Wie können Unternehmen, die mit pflanzlichen, fermentierten oder kultivierten Produkten zu tun haben, unterstützt werden? Eine Organisation, die genau hier ansetzen will, ist der Bundesverband für alternative Proteinquellen (BALPro), der vor fünf Jahren aus der Taufe gehoben wurde. Er will den Austausch zwischen Akteuren aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft fördern.
Mittlerweile gehören dem im März 2019 gegründeten Verein rund 130 Mitglieder an. Viele bekannte Namen sind dabei: Lidl und Rewe gehören ebenso dazu wie Danone, Dr. Oetker und Burger King oder auch Rügenwalder, Iglo und die Unternehmensgruppe Müller. Doch nicht nur die Lebensmittelbranche ist vertreten. Maschinenhersteller, Rohstoffhändler, Biotech-Firmen und Marketinggesellschaften sind auch mit von der Partie. Startups, Interessengruppen und Futtermittelproduzenten haben sich dem Verband ebenfalls angeschlossen.
Fabio Ziemßen ist Mitgründer und einer der Vorsitzenden des Vereins. Im Interview mit uns spricht er darüber, wie genau BALPro seine Mitglieder zusammenbringt, warum er die Organisation für wichtig hält und wieso er so begeistert von myzelbasierten Pflanzenprodukten ist.
Herr Ziemßen, BALPro gibt es bereits seit fünf Jahren – sind Sie zufrieden mit der Entwicklung der alternativen Proteine in dieser Zeit?
Ich bin sehr zufrieden mit der Geschwindigkeit, in der sich der Bereich in dieser Zeit entwickelt hat. In einzelnen Kategorien gibt es eine starke Weiterentwicklung. Schauen wir uns nur die Milchalternativen an: Es gibt sie in flüssig, es gibt sie in Pulverform, wir haben Mandel-, Hafer, Sojamilch und vieles mehr. Auch die Produktqualität ist viel besser geworden. Und die ehemals eng limitierten Verkaufsräume in den Supermärkten werden immer größer.

In welcher Form unterstützt BALPro die Unternehmen, die sich mit alternativen Proteinen beschäftigen?
Wir machen unter anderem Netzwerkarbeit, bringen die Akteure zusammen, fördern die Kommunikation untereinander und leisten politische Interessenarbeit. Die Mitglieder kommen bei Online-Stammtischen, Arbeitsgruppen, Frühstücks-Treffen, Messen und Events zusammen. Einmal im Jahr findet unser großer Smart Proteins Summit statt. Es ist beeindruckend, wie groß diese Veranstaltung mittlerweile geworden ist.
Wie erklären Sie sich diesen Zuspruch?
Ein wichtiger Punkt unserer Verbandsstruktur ist, dass wir nicht ideologisch sind, sondern zukunfts- und technologiegetrieben. Unser Verband profitiert außerdem davon, dass er unheimlich divers ist. Große Player sind genauso vertreten wie Startups. Wir vereinen alle Beteiligten – vom Acker bis zum Teller. Sie können sich austauschen und unterstützen. Eine wichtige Frage ist dabei: Was muss man hierzulande machen, um mit den großen Technologie-Standorten in den USA, Israel, Singapur und in den Niederlanden auf Augenhöhe kommunizieren zu können?
In anderen Ländern, beispielsweise Italien, Österreich und Frankreich gibt es aber auch Bewegungen, die vor allem gegen kultiviertes Fleisch kämpfen.
Jeder Trend erzeugt einen Gegentrend. Es gibt mittlerweile einige Gegenstimmen – hierzulande unter anderem aus dem konventionellen Sektor. Umso wichtiger ist es, dass dieser neue Wirtschaftsbereich der alternativen Proteine eine starke Gemeinschaft, eine starke Stimme hat. Es gibt kein Land, wo es eine so starke Unternehmens-Community gibt, wie hier bei uns mit BALPro.

Abgesehen von dem beschriebenen Gegenwind – welche Herausforderungen müssen darüber hinaus gemeistert werden?
Bauchschmerzen bereitet mir zum einen die Regulatorik. Insbesondere kultivierte Produkte und neue durch (Präzisions-) Fermentation hergestellte Zwischenprodukte müssen in der Europäischen Union (EU) das komplexe und langwierige Zulassungsverfahren für Novel Food durchlaufen. Zum anderen ist die Mehrwertsteueranpassung für Pflanzenmilch eine weitere Baustelle. Wir fordern den ermäßigten Satz von sieben Prozent – so, wie er für tierische Milch erhoben wird.
Ein anderes Aufgabenfeld betrifft die Taxonomie. Das bedeutet, dass wir Alternativen zu Milch im gleichen Anwendungsfeld entsprechend ihrem Gebrauch auch mit einem beschreibenden Zusatz als „Milch“ bezeichnen können. Außerdem ist es wichtig, dass die Produkte aus dem Bereich der alternativen Proteine eine eigene Identität entwickeln. Sie sollten nicht mehr nur als „Ersatz von“ definiert werden, sondern als vollwertige Produktkategorie gekennzeichnet sein.
Und ganz allgemein gibt es auch bei den tierischen Produkten Handlungsbedarf: Für Fleisch beispielsweise muss ein angemessenerer Preis erhoben werden – vor allem, um ein besseres Tierwohl zu erreichen und Landwirte gerecht zu berücksichtigen. In der Ernährung sollte es ohnehin eine Verschiebung auf dem Teller geben: Das Steak rückt vom Mittelpunkt an den Rand im Sinne der „Planetary Health Diet“ und wird zur kleinen Beilage, das Pflanzliche wird ins Zentrum verlagert und nimmt mehr Raum ein. Insbesondere bei der neuen Generation der pflanzlichen Produkte schmeckt man ohnehin kaum noch einen Unterschied zum Fleisch.

Was meinen Sie mit neuer Generation?
Ich unterteile die Entwicklung der pflanzlichen Ernährung gerne in drei evolutionäre Etappen. Die erste Etappe – beziehungsweise die erste Produkt-Generation – war geprägt von Produkten wie Soja- und Seitanbratlingen. In der zweiten Etappe haben Unternehmen die nächste Waren-Generation auf den Markt gebracht, die den Anspruch hatten, von der Struktur und dem Geschmack, den konventionellen Produkten zu entsprechen. Für diese Generation war der „Burger Patty“, das bekannteste Produkt. Zur dritten Generation gehören nun aktuell kultivierte und fermentierte Produkte sowie besonders innovative pflanzliche Artikel, die so wenig Zusatzstoffe wie möglich verwenden und als „clean“ bezeichnet werden können.
Was begeistert Sie hiervon am meisten?
Bei myzelbasierten Pflanzenprodukten schmeckt man meiner Meinung nach kaum noch einen Unterschied zu tierischen Erzeugnissen. Das ist in meinen Augen ein revolutionärer Schritt. Ich habe zwei, drei Produkte probiert, die jetzt in die Supermärkte kommen und die schmecken super. Es ist nicht nur der Umami-Geschmack, der so überzeugend ist. Auch die Inhaltsstoffe sind sehr rein: Da ist beispielsweise auch keine Methylcellulose mehr enthalten.
Herr Ziemßen, wir bedanken uns für das Gespräch.
Weitere Informationen: balpro.de