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Bluu Seafood: „Die gesamte Branche und die Verbraucher würden von schnelleren und besser definierten Zulassungsprozessen profitieren“

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© Bluu Biosciences

Das Berliner Startup Bluu Seafood, ehemals Bluu Biosciences, ist ein Pionier für die Entwicklung und Produktion von zellbasiertem Fisch in Europa. Das Unternehmen fokussiert nach längerer Forschungszeit nun die Entwicklung marktreifer kultivierter Fischprodukte, die sich in Geschmack, Textur und Kochverhalten nicht mehr von vergleichbaren Produkten auf Basis wildgefangener oder in Aquakultur gezüchteter Fische unterscheiden.

Dr. Christian Dammann, der Chief Operating Officer (COO) von Bluu Seafood und Vizepräsident von Cellular Agriculture Europe, sprach jetzt im Interview mit uns über die Zukunft der noch jungen Branche für kultivierte Alternativprodukte und den oft langwierigen Weg offizieller Regulierungsprozesse für neuartige Lebensmittel.

Herr Dammann, pflanzliche Alternativen für Fleisch und einige Meeresfrüchte sind bereits in vielen Supermärkten auf der ganzen Welt zu finden. Allerdings ist mit Huhn nur ein kultiviertes Produkt erhältlich und das ausschließlich in Singapur. Kultivierte Meeresfrüchte sind für Verbraucher in der Breite noch nicht verfügbar. Warum ist das so?

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Dr Christian Dammann © BLUU GmbH

Kultivierte Meeresfrüchte werden aus Fischzellen hergestellt, die in spezialisierten Einrichtungen kultiviert werden. Dieser Anbauprozess, der oft als „zelluläre Landwirtschaft“ bezeichnet wird, ist dem Anbau von Hefe für Bier oder der Herstellung von Joghurt sehr ähnlich. Die zelluläre Landwirtschaft gilt jedoch als neuartiges Verfahren für die Nahrungsmittelproduktion. Daher dauert der Regulierungsprozess länger als bei Produkten, die nur übliche pflanzliche Inhaltsstoffe enthalten.

Außerdem muss man bedenken, dass die kultivierte Meeresfrüchte- und Fleischindustrie tatsächlich noch sehr jung ist. Bluu Seafood wurde erst vor zwei Jahren gegründet, das älteste Unternehmen der Branche ist sieben Jahre alt. 

Wann werden wir die ersten Produkte aus kultivierten Meeresfrüchten auf dem Markt sehen?

Wir werden wahrscheinlich zuerst in den USA oder in Singapur Produkte aus kultivierten Meeresfrüchten auf dem Markt sehen, wobei Singapur mit etwa 12 Monaten die mit Abstand kürzeste offizielle Zulassungsfrist hat. Der offizielle Zulassungsprozess in den USA dauert etwa 18 Monate. Es wird allgemein erwartet, dass die erste Zulassung für ein Produkt aus kultivierten Meeresfrüchten innerhalb der nächsten neun Monate erfolgt. Danach wird das zugelassene Produkt wahrscheinlich zunächst in einem Testmarkt mit begrenzten Mengen angeboten. Bis 2025 ist zu erwarten, dass kultivierte Meeresfrüchte den Weg in die Supermärkte finden.

In der Europäischen Union wird es mindestens zwei Jahre dauern, bis ein neuartiges Lebensmittel zugelassen ist. Da mehr als 20 Länder mit unterschiedlichen politischen und wirtschaftlichen Prioritäten beteiligt sind, ist der Prozess komplexer und kann mehr Zeit in Anspruch nehmen. In der EU kann es daher bis 2026 dauern, bevor wir Produkte sehen, die in relevanten Mengen in den Geschäften erhältlich sind.

Wird es schwierig sein, die behördliche Zulassung für die Produkte von Bluu Seafood zu erhalten?

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© Bluu Seafood

Nein, ich erwarte keine größeren Schwierigkeiten. Dafür gibt es mehrere Gründe: Erstens gibt es im Kultivierungsprozess bei Bluu Seafood keine genetischen Veränderungen oder andere Zelltransformationen. Wir isolieren die Fischzellen, versorgen sie mit Nährstoffen, die sie auch in einem lebenden Fisch erhalten würden und lassen sie wachsen. Das ist alles. Andere Inhaltsstoffe, die wir zusätzlich zu Fischzellen in unseren Produkten verwenden, sind bekannte Materialien aus Pflanzen oder Algen, die auch in anderen Lebensmitteln vorkommen. Bluu-Produkte enthalten keine künstlichen Farb- oder Geschmacksstoffe. Wir halten den Prozess einfach und sauber.

Zweitens haben sich die Regulierungsbehörden in Singapur und den USA für einen kooperativen Ansatz bei der Zulassung von kultivierten Produkten entschieden. Sowohl SFA als auch FDA fördern eine offene Diskussion und sind sehr transparent bezüglich ihrer Anforderungen an ein vollständiges Dossier. Ja, die Prozesse sind streng und erfordern umfangreiche Experimente, Analysen und Dokumentationen. Als Bewerber wissen wir jedoch genau, was erwartet wird und können daher alle erforderlichen Daten zur Verfügung stellen.

Drittens verfügt Bluu über Mitarbeiter, die in regulatorischen Angelegenheiten sehr erfahren sind. Wir arbeiten bereits mit Behörden, Beratern und Anwaltskanzleien in den jeweiligen Regionen zusammen. Damit sind wir in der Lage, qualitativ hochwertige Dossiers einzureichen, die von Anfang an alle Anforderungen erfüllen.

Was würden Sie sich von den Aufsichtsbehörden wünschen?

Die gesamte Branche und die Verbraucher würden von schnelleren und besser definierten Zulassungsprozessen profitieren. Wie reibungslos der Genehmigungsprozess verläuft, hängt weitgehend von klaren Richtlinien, klar definierten Standards und detaillierten Informationen ab, die bereits vor der Einreichung eines Dossiers ausgetauscht werden. Ich wünsche mir ein hohes Maß an Zusammenarbeit zwischen den jeweiligen Behörden und den Antragstellern.

Für die EU würde ich gerne eine vollständige Liste spezifischer Studien sehen, die durchgeführt werden müssen, um die Produktsicherheit nachzuweisen. Dabei ist es wichtig, die Form der Essays, den Umfang der Studien, die Art der Daten, die Messparameter und den Detaillierungsgrad zu definieren. Der Nachweis der Produktsicherheit für Bluu-Produkte ist grundsätzlich kein Problem, aber wir brauchen Unterstützung dabei, zu definieren, was die Regulierungsbehörden genau benötigen. Natürlich würde ich mich auch über eine individuelle Unterstützung von EU-Mitgliedstaaten wie Deutschland freuen.

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© OlesyaSH – stock.adobe.com

Wie unterscheiden sich die Regionen und wie beeinflusst dies die Markteinführungsstrategie von Bluu?

Die behördliche Zulassung ist in jedem Markt unerlässlich und Bluu möchte das Produkt so schnell wie möglich in die Hände der Verbraucher bringen. Singapur und die USA sind derzeit unsere Hauptziele für eine erste Produkteinführung, da sie die schnellsten Zeitpläne und die am besten definierten Zulassungsprozesse haben. Die Zulassung in diesen Ländern wäre auch ein wichtiger Präzedenzfall, der für spätere Anträge in der EU von Vorteil sein könnte.

Asien ist aufgrund der Größe für Bluu sehr interessant, da China der größte Fischmarkt der Welt ist. In China wie auch in Japan ist der Genehmigungsprozess noch nicht vollständig definiert. Beide Länder arbeiten jedoch an Gesetzen, die neuartige Lebensmittel regulieren sollen. Bluu arbeitet bereits mit chinesischen Partnern zusammen, um für die Zulassungsanträge aufgestellt zu sein, wenn diese neuen Richtlinien in Kraft treten.

Bluu ist und bleibt aber auch ein europäisches Unternehmen und wir möchten Marktführer für kultivierte Meeresfrüchte auf diesem Kontinent werden. Daher beteiligen wir uns auf allen Ebenen aktiv an den aktuellen Diskussionen über Regulierungsrichtlinien für neuartige Lebensmittel in der EU und Großbritannien. Großbritannien ist ein interessanter Fall, den wir sehr aufmerksam verfolgen. Bis jetzt werden die EU-Vorschriften noch angewendet, aber die Regierung hat erhebliche Änderungen am Zulassungsverfahren für neuartige Lebensmittel angekündigt.

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Kultivierte Regenbogenforellenzellen unter dem Mikroskop © BLUU GmbH

Was kann Bluu tun, um faire und effiziente Regulierungsprozesse zu gewährleisten?

Die wichtigste Aufgabe besteht darin, Regulierungsbehörden, Politik, Verbraucher und die Öffentlichkeit über kultivierte Produkte aufzuklären und zu informieren. Bluu ist Mitbegründer von „Cellular Agriculture Europe“, dem Branchenverband der zellulären Landwirtschaftsunternehmen in Europa und Israel. Cellular Agriculture Europe ist ein Zusammenschluss von Unternehmen, die sich für den Aufbau einer nachhaltigen Zukunft einsetzen. Der Verband ist als Interessenvertreter bei der EFSA eingetragen und wurde in die neue Beratungsgruppe der GD SANTE für nachhaltige Lebensmittelsysteme berufen. Mitglieder von Cellular Agriculture Europe nehmen als Referenten an Konferenzen, Tagungen und Diskussionsgruppen zu regulatorischen Angelegenheiten und Lebensmittelsicherheit teil. Darüber hinaus erstellt der Verband Beiträge und Gutachten zu Anforderungen der EFSA und anderer internationaler Organisationen.

Parallel dazu arbeitet Bluu auch daran, gute Beziehungen zu deutschen Behörden und Politikern aufzubauen. Wir sprechen offen über den Herstellungsprozess von kultiviertem Fisch, die Chancen für Umwelt und Wirtschaft und die Notwendigkeit klarer regulatorischer Richtlinien für die Industrie. Für uns ist klar, dass die Unterstützung der nationalen Regierungen sehr wichtig ist, um regulatorische Leitlinien für die EU zu formulieren.

Herr Dammann, wir bedanken uns für das Gespräch.

 

Weitere Informationen zu Bluu Seafood finden Sie unter www.bluu.bio.

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