Interviews

Moo’s Law – Großinvestor Jim Mellon im Interview über sein neues Buch

„Ein Leitfaden für Investoren zur neuen Agrarrevolution“. Das ist der Untertitel des Buches „Moo’s Law“ von Autor Jim Mellon, einem milliardenschweren Großinvestor und Unternehmer aus Großbritannien. Mellon beschreibt in seinem neuen Buch ausführlich, wie er sich die Zukunft des Nahrunsmittelsystems vorstellt, welche Rolle er dabei der zellulären Landwirtschaft als aufkommender Industrie zuschreibt und welche Chancen sich hier zukünftig für Investoren ergeben könnten. Im Interview gibt uns Mellon weitere Einblicke zu seiner Motivation, dieses Buch zu schreiben, und warum kultivierte Lebensmittel der Zukunftstrend schlechthin sein werden.

Herr Mellon, der Titel Ihres Buches ist eine Anspielung auf das Mooresche Gesetz. Könnten Sie unseren Lesern erklären, was dahinter steckt?

1965 beobachtete Gordon Moore, der Computeringenieur, der später Intel gründen sollte, dass Halbleiter etwa alle zwei Jahre doppelt so effizient wurden. „Moore’s Law“ war seine berühmte Vorhersage, dass sich Computer weiterhin exponentiell verbessern würden. Er hatte Recht: Computerchips sind heute fast unvorstellbar effizienter als zu der Zeit, als er die Vorhersage machte.

Ich habe also den Begriff für die zelluläre Landwirtschaft „abgekupfert“, weil ich eine ähnliche Entwicklung für diese Industrie festgestellt habe. Der Hauptgrund, warum wir nicht schon alle kultiviertes Fleisch essen, ist der Preis.

Im Jahr 2013 präsentierte Professor Mark Post vor Journalisten in London den weltweit ersten „im Labor gezüchteten Burger“, ein Projekt, das rund 250.000 Euro kostete und von Sergey Brin, dem Mitgründer von Google, finanziert wurde. Mark gründete daraufhin die Firma Mosa Meat, die heute Patties aus kultiviertem Rindfleisch für rund 10 Euro produziert. Es ist erstaunlich, wie schnell die Kosten gesunken sind. Es ist zwar immer noch viel teurer als Fleisch von Tieren, aber man kann den Abwärtstrend sehen – daher „Moo’s Law“.

Sie haben dieses Buch Ihrem Hund gewidmet. Warum haben Sie sich dazu entschlossen?

Mein Hund Horatio ist letztes Jahr gestorben und natürlich musste ich an ihn denken, als ich Moo’s Law schrieb. Da ich selbst Pescatarier bin, liegt mir das Wohlergehen der Tiere und die Suche nach humaneren Wegen, sich zu ernähren, sehr am Herzen. Es machte Sinn, das Buch Horatio zu widmen, der mir so sehr ans Herz gewachsen ist.

© Jim Mellon / Fruitful Publications

Könnten Sie Ihr Buch zusammenfassen und erklären, was Sie mit der „neuen Agrarrevolution“ meinen?

In diesem Buch dreht sich alles um die Zukunft der Ernährung. Ich erkläre, warum wir unser Agrarsystem radikal umgestalten müssen, weil das derzeitige Modell der intensiven Landwirtschaft verheerend für die Umwelt ist, Tieren schreckliche Grausamkeiten zufügt und die menschliche Gesundheit gefährdet.

Was ich die „Neue Agrarrevolution“ nenne, ist die Sammlung von technologiebasierten Lösungen, die Wissenschaftler und Unternehmer entwickeln, um unsere Lebensmittelversorgung zu verbessern. Die erste Welle der Innovation begann mit pflanzlichen Fleischersatzprodukten, wie Beyond Meat und Impossible Foods, die beide sehr populär geworden sind.

Die zweite und größere Welle dieser Revolution ist jedoch das kultivierte Fleisch, das dem tierischen Fleisch in fast jeder Hinsicht überlegen ist. Es benötigt nur einen Bruchteil des Landes und des Wassers, verursacht nur einen Bruchteil der Umweltverschmutzung, verwendet eine vernachlässigbare Menge an Antibiotika und Hormonen und erfordert nicht das Schlachten von Tieren. Dies wird eine revolutionäre Veränderung nicht nur in der Art und Weise sein, wie wir unsere Proteine beziehen, sondern auch in der Art und Weise, wie wir mit der Umwelt umgehen.

Welchen Einfluss wird In-vitro-Fleisch auf den Lebensmittelmarkt haben?

Es wird einen enormen Einfluss auf das globale Lebensmittelproduktionssystem haben. Innerhalb der nächsten zehn Jahre werden kultivierte Produkte billig genug sein, um auf dem Massenmarkt konkurrenzfähig zu sein und schließlich werden wir Zeuge der Verdrängung der intensiven Landwirtschaft als Methode der Proteinproduktion. Dies wird einen Wandel in der Lebensmittelversorgung bewirken und sollte einen entscheidenden Einfluss auf die Reduzierung der Treibhausgasemissionen auf der ganzen Welt haben, ebenso wie auf das Wohlergehen der Tiere und das Angebot gesünderer und schmackhafterer Lebensmittel für die Verbraucher.

Wer werden nach der Agrarrevolution die Produzenten von Clean Meat sein?

Als Investor in diesem Bereich unterstütze ich die Unternehmen, die eine starke Führung, vertretbares geistiges Eigentum und Know-how haben und die größte Fähigkeit zeigen, die Produktion auf dem Weg zur Kommerzialisierung zu skalieren.

In dem Buch stelle ich mir vor, wie sich das Feld in Bezug auf drei Möglichkeiten entwickeln wird: fold, sold und bold. Einige Unternehmen werden unweigerlich scheitern (oder „folden“) – das liegt in der Natur des Kapitalismus und der Frühphaseninvestitionen. Andere werden an die großen Unternehmen der Lebensmittelindustrie wie Nestle und Tyson verkauft (sold), von denen einige bereits mit Venture Capital-Armen in den Bereich der zellulären Landwirtschaft investiert haben.  Das ist analog zur Biotech-Industrie, wo große Pharmafirmen eigentlich Vertriebs- und Marketingmaschinen sind, die Produkte und Technologien aufkaufen oder einlizenzieren. Und einige von ihnen werden mutig (bold) sein, oder mit anderen Worten, sie werden selbst zu milliardenschweren Unternehmen, so wie es Impossible Foods und Beyond Meat mit pflanzlichen Fleischanaloga getan haben. Es sind diese Unternehmen, von denen ich glaube, dass sie die weltweit führenden Produzenten von sauberem Fleisch sein werden.

© Firn-stock.adobe.com

Sie haben geschrieben, dass die Produktion nach der Agrarrevolution genug Arbeitsplätze bieten wird, um den Verlust im traditionellen Agribusiness zu kompensieren. Welche Art von Ausbildung wird benötigt werden, um im neuen Agribusiness zu arbeiten?

Ja, ich habe versucht, die Behauptung der Agrarlobby zu widerlegen, dass die Umstellung auf die zellulare Landwirtschaft zu einer Massenarbeitslosigkeit der Bauern führen wird.

Ich glaube, den Leuten ist nicht bewusst, wie viele Arbeitsplätze in der Landwirtschaft in den letzten ein oder zwei Jahrhunderten bereits verloren gegangen sind. Während des größten Teils der Menschheitsgeschichte waren über 90% der Bevölkerung in der Subsistenzlandwirtschaft tätig. Heute arbeiten nur noch 1% oder 2% der westlichen Bevölkerung in der Landwirtschaft. Wir haben die überwiegende Mehrheit der landwirtschaftlichen Arbeitsplätze bereits durch technologische Innovationen beseitigt; eine Massenarbeitslosigkeit ist nicht eingetreten. Ich plädiere lediglich für eine weitere technologische Innovation, die unsere Nahrungsmittelversorgung noch effizienter machen wird.

In der neuen zellulären Landwirtschaft wird es Möglichkeiten für ehemalige Landarbeiter geben: die Betreuung der Bioreaktoren und so weiter. Sie werden vielleicht ein gewisses Maß an Umschulung benötigen, aber ich glaube nicht, dass es viel anstrengender oder technischer sein wird, als die Arbeit in jeder anderen Art von Fabrik.

Wir sollten auch nicht vergessen, dass riesige Landstriche für die Renaturierung, die Erholung und den Wohnungsbau frei werden, wenn wir nicht mehr so viel Ackerland benötigen. In der neuen Landschaft wird es wunderbare Beschäftigungsmöglichkeiten geben. Ich persönlich wäre viel lieber ein Parkranger als ein Landarbeiter!

Ist es möglich, auch andere Produkte als Fleisch „anzubauen“, zum Beispiel Milch oder Eier?

Ja, das ist möglich. Es gibt zum Beispiel ein paar Unternehmen, die Käse durch Zellfermentation herstellen, wie LegenDairy Foods. Traditioneller veganer Käse lässt sich nicht so dehnen oder schmelzen wie Milchkäse, weil ihm die Schlüsselkomponenten wie Kasein, das „süchtig machende“ Protein in Milchprodukten, fehlen. Aber neue zelluläre Techniken werden es uns ermöglichen, Milchprodukte zu haben, die genauso aussehen und schmecken wie die traditionellen Produkte, ohne die ökologischen oder ethischen Nachteile.

Einige Unternehmen nutzen „zelluläre Aquakultur“, um zellbasierte Meeresfrüchte zu produzieren. In San Diego gibt es ein Unternehmen namens BlueNalu, das sich sehr schnell vergrößert. Das Unternehmen hat gerade 60 Millionen US-Dollar gesammelt und plant, noch in diesem Jahr eine 40.000 Quadratmeter große Fabrik zu eröffnen.

Und einige der aufregendsten Produkte kommen aus dem Materialbereich. Es gibt ein großartiges Unternehmen namens GALY, das Baumwolle anbaut. Traditionelle Baumwolle ist sehr wasserintensiv und damit anfällig für Dürren – 10.000 Liter Wasser werden für eine Jeans benötigt. Außerdem werden 6% der weltweiten Pestizide für Baumwolle eingesetzt. Wenn sie erfolgreich skalieren können, wäre das ein großer Erfolg für die Umwelt.

Wie kann sich die Lebensmittelindustrie auf die Agrarrevolution vorbereiten?

Ich denke, viele der großen Player in der Lebensmittelindustrie werden sich an der Neuen Agrarrevolution beteiligen. Einige von ihnen haben bereits ihre eigenen pflanzenbasierten Marken – z.B. die „Raised & Rooted“-Serie von Tyson Foods und die „Chicken Plus“-Serie von Purdue. Und ich erwarte, dass viele von ihnen ihre Konkurrenten im Bereich der zellulären Landwirtschaft aufkaufen werden, sobald die Technologien hochskaliert und risikolos geworden sind.  Sie werden bald sehen, dass dort außerordentliche Renditen zu erzielen sind.

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Glauben Sie, dass das traditionelle Agribusiness in Zukunft verschwinden wird?

Ackerbaubetriebe wird es weiterhin geben, weil wir immer noch Feldfrüchte brauchen werden, aber ich denke, dass die traditionelle Tierhaltung nur noch ein kleiner Teil der heutigen Industrie sein wird. Es wird höchstens noch einige Hobbyfarmen geben, die hochwertige Fleischstücke anbieten – so wie es derzeit eine Nachfrage nach luxuriösem Wagyu-Rindfleisch gibt.

Was sollte die Regierung tun, um die Agrar-Revolution zu unterstützen?

Ein reibungsloserer regulatorischer Weg ist die wichtigste Maßnahme, die Regierungen ergreifen können. Wenn ein Land die Zulassung für kultivierte Produkte verzögert, bedeutet das, dass dieses Land bei der Anziehung von Start-ups und Investitionen ins Hintertreffen gerät. Die Regierungen sollten diese Industrie lieben: Besonders in Teilen der Welt, die von Lebensmittelimporten abhängig sind (z.B. Großbritannien, Singapur und die gesamte GCC-Region), ist es eine große Chance, sich selbst zu versorgen. Sie wird auch viele Arbeitsplätze in einem der innovativsten Sektoren schaffen.

Glauben Sie, dass saubere Fleischprodukte öffentlich akzeptiert werden, sobald sie auf den Markt kommen?

Ja, ich denke schon. Die drei wichtigsten Faktoren für die Verbraucher sind Geschmack, Preis und Bequemlichkeit. Saubere Fleischprodukte werden irgendwann in Supermärkten erhältlich sein, so dass Bequemlichkeit kein Thema ist. Es gibt keinen Unterschied im Geschmack, und der Preis wird, wie ich schon sagte, bald die Parität mit Fleisch tierischer Herkunft erreichen.

Es gibt Bestrebungen der Agrarindustrie, kultivierte Produkte als eine Art „Frankenfood“ zu brandmarken. Ich glaube nicht, dass sie damit Erfolg haben werden, zum einen, weil die Behauptung falsch ist und zum anderen, weil es den Verbrauchern nicht so wichtig ist, woher ihre Lebensmittel kommen – man muss sich nur ansehen, welchen Müll die Leute im Moment essen. Am Ende wird die öffentliche Akzeptanz auf Bequemlichkeit, Preis und Geschmack zurückzuführen sein.

Sie schreiben über die aktuelle Gesetzgebung, Regulierung, Unternehmen und Investitionen. Werden Sie diesen Teil des Buches für zukünftige Nachdrucke aktualisieren?

Ja, absolut. Wenn die Zeit für eine zweite Auflage gekommen ist, werde ich es vollständig überarbeiten, um alle neuesten Entwicklungen zu berücksichtigen. Und auf der Website des Buches werden wir die Leser mit regelmäßigen Beiträgen auf dem Laufenden halten.

Herr Mellon, vielen Dank für das ausführliche und informative Gespräch!

 

Wer Jim Mellon live über das Thema sprechen hören möchte, der hat am 4. März 2021 die Gelegenheit dazu. Jim wird zusammen mit Wissenschaftlern, CEOs und Investoren der zellulären Landwirtschaft an dem Webinar „The Agrarian Revolution: Opportunities in Alternative Proteins“ über die Möglichkeiten des Sektors teilnehmen. Das Webinar hat bereits am 4. März 2021 stattgefunden.

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