Interviews

ProVeg-Geschäftsführer Matthias Rohra: ProVeg berät führende Handelsunternehmen und Lebensmittelhersteller in ganz Europa

Matthias Rohra startete bereits 2015 bei ProVeg, damals noch VEBU (Vegetarierbund), als Leiter des Business-Bereichs. 2017 übernahm er im Rahmen der Internationalisierung der Ernährungsorganisation die Rolle als COO beziehungsweise stellvertretender Geschäftsführer. Seit Juni 2020 leitet er nun als neuer Geschäftsführer ProVeg in Deutschland.

Bevor er zu ProVeg kam, arbeitete Matthias Rohra viele Jahre unter anderem in der Industrie als Marketingexperte bei Coca-Cola und McFit. Da er sich schon immer für die Themen Nahrungsmittel, Markttrends und Verbraucherwünsche begeistert und sich seit über 25 Jahren pflanzlich ernährt, hat er bei ProVeg die ideale Herausforderung gefunden. Sein Ziel ist es, mit seinen Managementfähigkeiten und strategischen Kompetenzen sowie seiner Expertise in Vermarktung und Vertrieb maßgeblich dazu beizutragen, die vegan-vegetarische Entwicklung auf dem Markt zu beschleunigen und im Mainstream weiter zu etablieren.

Wie haben die Klimawandel-Diskussionen die Einstellung zu pflanzenbasierter Ernährung in der Bevölkerung verändert?

Immer mehr tritt ins Bewusstsein, dass Ernährung keine individuelle Entscheidung ist. Die Herstellung und der Konsum von tierischen Produkten ist ein wesentlicher Treiber des Klimawandels. Global ist unser Ernährungssystem für bis zu einem Drittel aller weltweiten Emissionen verantwortlich. Die Erzeugung tierischer Produkte dabei noch immer für bis zu 16 %. Inzwischen ist durch mehrere Studien bewiesen, dass eine Ernährung mit einem hohen Anteil an pflanzlichen Lebensmitteln weniger schädlich für das Klima ist als eine Ernährung mit einem hohen Anteil an tierischen Produkten.

Und was machen die Konsumenten mit diesen Erkenntnissen?

Laut einer Erhebung des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) greifen etwa 41 % der Befragten aus Klimaschutzgründen bereits zu pflanzlichen Alternativen. 51 % sehen den Konsum von pflanzlichen Alternativen als die geeignete „Ernährung von Morgen“ und stehen diesen Produkten aufgeschlossen gegenüber. Die European Consumer Organisation (BEUC) geht durch eine Erhebung über „food choices & sustainability“ sogar davon aus, dass zwei Drittel der Konsumenten offen dafür sind, ihre Essgewohnheiten für die Umwelt zu ändern. Neben ihren vielen anderen Vorteilen ist eine pflanzenbasierte Ernährung eine der einfachsten und effektivsten Maßnahmen, wie wir positiven Einfluss auf das Klima nehmen können.

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© ProVeg e.V.

Welchen Einfluss hat COVID-19 auf unser Ernährungsverhalten?

Die Einstellung zu pflanzenbasierter Ernährung in der Bevölkerung hat sich seit der Coronavirus-Pandemie rasant verändert. COVID-19 ist eine von Tieren auf den Menschen übertragene Krankheit (Zoonose). Der Konsum tierischer Produkte hat den Menschen in immer engeren Kontakt sowohl mit domestizierten als auch mit Wildtieren gebracht und begünstigt damit Zoonosen. Daher gilt es, Zusammenhänge zu erkennen – zwischen unserem globalen Ernährungssystem, der aktuellen Krise und möglichen künftigen Pandemien. ProVeg hat zu diesem Thema einen Food & Pandemics Report herausgebracht. Nach wie vor sind Gesundheit und Tierschutz die stärksten Beweggründe für eine pflanzliche Ernährung. Daher liegt es nahe, dass seit dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie immer mehr Menschen zum pflanzlichen Pendant anstatt zum tierischen Produkt greifen.

Was bedeutet das konkret für den Markt und unsere Ernährung?

Laut einer Studie von Meticulous Research ist seit COVID-19 der Umsatz von pflanzlichen Lebensmitteln deutlich gestiegen. Allein in Deutschland stieg die Produktion von Veggie-Lebensmitteln im ersten Quartal 2020 um 37 % im Vergleich zum Vorjahr. Die Transformation des globalen Ernährungssystems – indem tierische Produkte durch pflanzliche Alternativen ersetzt werden – bietet eine Lösung für eine Vielzahl drängender Probleme. Denn eine Ernährungswende reduziert nicht nur das Risiko künftiger Pandemien, sondern trägt auch zur Entschärfung weiterer globaler Krisen wie Klimawandel, Welthunger und Antibiotikaresistenz bei.

ProVeg hat sich vor einiger Zeit mehr in Richtung B2B positioniert. Wie hat sich der Bereich entwickelt?

Ausgezeichnet. Der Markt für pflanzliche Produktalternativen hat sich im vergangenen Jahr bis heute rasant entwickelt. Insofern hatten wir ein gutes Timing. Denn nachdem wir uns zunächst personell gut aufstellen konnten mit Experten aus der Lebensmittelindustrie, dem Handel, der Konsumenten- und Absatzforschung und gleichzeitig Beratungsstrukturen aufgebaut haben, stand einer breit angelegten Beratung nichts mehr im Weg.

Wer gehört zu Ihren Kunden?

Weil Namen ja nur selten erwähnt werden dürfen, nur so viel: Wir beraten mittlerweile zahlreiche führende Handelsunternehmen in Deutschland und im europäischen Ausland. Hinzu kommen Lebensmittelhersteller aus allen Kategorien, auch große Lebensmittelkonzerne stehen mittlerweile auf unserer Kundenliste. Bereits 2014 haben wir die Rügenwalder Mühle beraten. Das Unternehmen aus Bad Zwischenahn kennen mittlerweile alle. Es war damals Vorreiter unter den fleischverarbeitenden Unternehmen im Bereich Veggie-Fleischalternativen und ist mittlerweile Marktführer in diesem Segment. Das freut uns natürlich sehr.

© Rügenwalder Mühle

Welche Unterstützung bieten Sie Unternehmen?

Wir beraten bei der Neueinführung, aber auch Optimierung von pflanzlichen Alternativen zu klassischen Fleisch-, Milch-, Fisch- und Ei-Produkten. Das umfasst Beratungsfelder von der Produktentwicklung über Produkttests mit unserer Produkttester-Datenbank, Preisgestaltung und Branding bis hin zu Kommunikation und Vertrieb. Unser Know-how ziehen wir auch aus primärer Marktforschung, zum Beispiel unserer eigenen Konsumentenbefragung, die wir im Frühjahr 2020 europaweit durchgeführt und deren Ergebnisse wir im Juni veröffentlicht haben. Das waren wichtige Daten, die bisher im Markt gefehlt haben. Das Feedback der Branche war sehr gut und das erhöht natürlich auch das Standing.

Eigene Testcommunity, primäre Marktdaten worin unterscheiden Sie sich von Mitbewerbern in der Branche?

Konkurrenz gibt es aufgrund unseres großen Netzwerks und unserer engen Vernetzung mit Marktteilnehmern nicht wirklich. Mit der ProVeg-Testcommunity haben unsere Kunden Zugang zu über 20.000 Testern. Dort fragen wir regelmäßig Produktinnovationen, Brandings und Packungsdesigns ab und können so herausfinden, was sich die an pflanzlichen Produkten interessierte Community wünscht.

Und dann bieten wir noch Zugriff auf die wichtigsten sekundären Marktdaten. Unter anderem screenen wir täglich die internationale Fachpresse. Die Ergebnisse werten wir nicht nur selbst für unsere Arbeit aus, sondern wir stellen sie auch unseren Kunden und Interessenten als „News Highlights of the plant-based Sector“ kostenlos zur Verfügung. Das alles und ein sehr guter Kontakt zur Lebensmittelindustrie und dem Handel gibt uns umfangreiche Einblicke in die aktuellen und künftigen Entwicklungen verschiedener Produktkategorien.

ProVeg hat 2019 die New Food Conference ins Leben gerufen. Was ist der aktuelle Stand?

Auf der New Food Conference 2019 haben wir die wichtigsten Entscheider und Investoren aus der Lebensmittelindustrie mit innovativen Start-ups und Forschern aus den Bereichen „plant-based“ und „cultured meat“ wie Mark Post von Mosa Meat für zwei Tage in Berlin zusammengebracht. Das war auf Anhieb ein Riesenerfolg.

Die New Food Conference 2020 war schon sehr gut gebucht, als Corona dazwischen kam. Stattdessen haben wir in diesem Jahr eine Webinarreihe mit prominenten Sprechern organisiert. Zuletzt war Heather Mills von V-Bites als Speakerin dabei. Sehr beeindruckend, was sie in Großbritannien in den vergangenen Jahren alles aufgebaut hat und für welche Marken sie produziert. Sie war sehr offen und hat tiefgehende Einblicke und wertvolle Handlungsempfehlungen gegeben. Die aufgezeichneten Webinare sind auf der ProVeg-Website abrufbar. Die nächste New Food Conference findet vom 28. bis 29. April 2021 statt.

© ProVeg International

Welche Unterstützung bieten Sie Start-ups?

Der ProVeg-Incubator wurde vor zwei Jahren gegründet, um jungen Unternehmen das notwendige Know-how für einen erfolgreichen Start mitzugeben. Mittlerweile haben bereits über 40 Start-ups aus der ganzen Welt das dreimonatige Intensivprogramm durchlaufen. Dabei bringen wir sie mit Experten und wichtigen Multiplikatoren aus der internationalen Lebensmittelbranche zusammen, die ihnen als Referenten und Mentoren zur Seite stehen. Außerdem erhalten sie Zugang zu unseren Investorennetzwerken.

Normalerweise kommen die Jungunternehmen in unseren Incubator-Space in Berlin. Dieses Jahr lief alles remote. Es hat sehr gut geklappt. Ab und zu nehme ich selbst auch an ihren (Online-)Veranstaltungen teil. Es begeistert mich immer wieder, so viele kluge und hoch motivierte Menschen zu sehen, die – wie in der aktuellen Kohorte – zeitgleich in Australien, Indien, Chile, Schweden, England, Frankreich und Deutschland vor ihren Rechnern sitzen, um an der „plant-based revolution“ mitzuarbeiten.

Welche Aufgaben stehen bis zum Jahresende im Fokus?

In den nächsten Wochen haben wir in Deutschland noch spannende Projekte vor uns. Zum einen die Veröffentlichung des Food & Pandemics Report II, in dem wir konkrete Lösungen aufzeigen, zum anderen unsere neue Incubator-Kohorte, die im Oktober startet und die ihren Abschluss im Januar finden wird. Einige Kooperationen mit großen Handels- und Industriepartnern, aber auch Partnern aus dem Food-Service-Bereich werden das Produktportfolio pflanzlicher Lebensmittel langfristig beeinflussen und nicht zu vergessen unser Tagesgeschäft in den verschiedenen Abteilungen – alles wichtige Aufgaben, um unsere Mission zu erfüllen.

Die Internationalisierung schreitet ebenfalls voran. Bestehende Organisationen wollen sich ProVeg anschließen oder gründen sich als eigenständige Organisation in wichtigen Schwellenländern. Da zahlt sich der Geschäftsführerwechsel für die ganze Organisation aus: Ich konzentriere mich auf den deutschen Markt und die 120 Mitarbeiter, damit sich Sebastian Joy als Präsident von ProVeg International zu 100 % auf die globale Weiterentwicklung fokussieren kann.

Vielen Dank für das Gespräch Herr Rohra!

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