Dr. Florian Fiebelkorn vertritt an der Universität Osnabrück den Lehrstuhl für Biologiedidaktik und forscht unter anderem zur Akzeptanz von kultiviertem Fleisch. Das übergeordnete Ziel seiner Forschung ist es, Menschen zu nachhaltigen Verhaltensweisen anzuregen. Bei einer seiner Studien aus dem Jahr 2022 kam heraus, dass 58 Prozent der rund 500 Befragten bereit seien, einen Burger mit kultiviertem Fleisch zu essen.
Dr. Florian Fiebelkorn spricht mit uns im Interview darüber, warum reine Wissensvermittlung nicht ausreicht, um die Akzeptanz von kultiviertem Fleisch zu steigern, warum Männer eher zu den kultivierten Produkten greifen würden als Frauen und wieso die Entwicklung der Branche stark von Storytelling geprägt ist.
Sie haben bei einer Umfrage zur Akzeptanz von kultiviertem Fleisch herausgefunden, dass 58 Prozent der Befragten einen Kulturfleisch-Burger konsumieren würden. Haben Sie mit dieser hohen Zustimmung gerechnet?
Die Zahl von knapp 60 Prozent ist schon beeindruckend hoch, insbesondere für ein Nahrungsmittel, das in der breiten Öffentlichkeit als völlig neu wahrgenommen wird. Allerdings kam diese hohe Zustimmungsrate nicht völlig unerwartet. Wir hatten im Vorfeld eine gewisse Hypothese.
Zudem sollte man bei allen Umfragen zu diesem Thema genauer hinschauen, wie die Frage gestellt und welcher Begriff verwendet wird. Denn das hat einen immensen Einfluss auf das Ergebnis. Zum Beispiel ruft der Begriff „Laborfleisch“ andere Assoziationen hervor als „kultiviertes Fleisch“. In der Konsumentenforschung machen wir zudem einen Unterschied zwischen der Bereitschaft, kultiviertes Fleisch zu probieren, es zu kaufen oder es als Ersatz für konventionelles Fleisch in die eigene Ernährung zu integrieren. Generell beobachten wir, dass die Zahlen – fast unabhängig vom Nahrungsmittel – von der Bereitschaft zu probieren über das Kaufen bis hin zur Nutzung als Fleischersatz tendenziell abnehmen. Aber dennoch ist die Zahl von knapp 60 Prozent schon sehr hoch für ein Nahrungsmittel, das komplett neu ist.
Steigt die Akzeptanz gegenüber kultiviertem Fleisch, weil immer mehr Leute wissen, worum es sich dabei handelt?
Nach unseren neusten Untersuchungen ist die Akzeptanz die letzten Jahre nicht wirklich gestiegen. Wir haben dazu über die letzten sechs Jahre eine Langzeitstudie in der deutschen Bevölkerung durchgeführt. Und das Ergebnis ist, dass sich bezüglich der Akzeptanz nicht wirklich etwas verändert hat.
Meine drei Mitarbeiterinnen, Lena Szczepanski, Jacqueline Dupont und Dr. Alina Weber sitzen derzeit an der Einreichung der Ergebnisse bei einer fachwissenschaftlichen Zeitschrift. Ich hoffe sehr, dass die Ergebnisse noch 2024 publiziert werden.
Der Eindruck, der in manchen Medien vermittelt wird, dass kultiviertes Fleisch immer mehr Zuspruch in der Bevölkerung erfährt, liegt meiner Meinung nach sehr viel am Storytelling der Stakeholder, also der Leute, die davon profitieren oder ein Interesse daran haben. Zudem ist die Annahme, dass eine reine Informationsvermittlung über die Produktionsmethoden und die Vorteile von kultiviertem Fleisch für Gesundheit und Nachhaltigkeit automatisch zu einer höheren Akzeptanz oder gar einer Verhaltensänderung führt, weit verbreitet. Unsere Studienergebnisse lassen jedoch darauf schließen, dass diese Annahme nicht vollständig zutreffend ist.
Wie meinen Sie das?
Viele Menschen „wissen“ beispielsweise über den Klimawandel Bescheid und ändern dennoch nicht ihr Verhalten. Ähnlich verhält es sich mit dem Wissen über kultiviertes Fleisch. Obwohl das Wissen eine notwendige Grundlage bildet, ist es allein nicht ausreichend, um die Akzeptanz signifikant, also in deutlichem Maße, zu steigern. Wir haben dies bereits in einer Studie mit Jugendlichen und deren Akzeptanz für insektenbasierte Nahrungsmittel herausgefunden.
Für eine effektive Verhaltensänderung spielen auch andere Faktoren eine entscheidende Rolle, wie etwa individuelle Einstellungen, Emotionen, Werte und soziale Normen. Diese Faktoren tragen nach unseren Untersuchungen maßgeblich dazu bei, ob Informationen tatsächlich zu Veränderungen im Verhalten führen oder eben nicht. Kurz und knapp: Wissen über kultiviertes Fleisch ist daher notwendig, aber allein nicht ausreichend, um die Akzeptanz in der Bevölkerung zu steigern.
Wie könnte die Akzeptanz gegenüber kultiviertem Fleisch dennoch gesteigert werden?
Ein erster wesentlicher Schritt besteht darin, wertneutrales Wissen zu vermitteln. Es ist wichtig, transparent darzulegen, was kultiviertes Fleisch ist, welche Ziele mit seiner Produktion verfolgt werden und welche Kritikpunkte existieren. Bildungsprogramme, insbesondere in Schulen, sollten dabei nicht nur auf die Bereitstellung von Fachinformationen abzielen, sondern auch die Einstellungen, Emotionen und Werte der Schülerinnen und Schüler berücksichtigen.
Über diese psychologischen Faktoren hinaus spielen auch viele andere Faktoren eine Rolle. So werden der Preis und der Geschmack von kultiviertem Fleisch entscheidend dazu beitragen, ob diese Produkte sich auf dem deutschen Markt durchsetzen können. Ein weiterer wichtiger Faktor ist die Verfügbarkeit dieser Produkte in Supermärkten. Ohne eine Präsenz im Lebensmitteleinzelhandel ist es schwierig, positive Geschmackserfahrungen zu ermöglichen und somit die Akzeptanz zu steigern.
Ein Ergebnis bei Ihrer Untersuchung ist auch, dass Männer wahrscheinlich eher zum Kulturfleisch greifen würden als Frauen. Warum ist das Ihrer Meinung nach so?
Das liegt zum einen daran, dass Männer generell mehr Fleisch essen – das gilt in Zukunft wahrscheinlich auch für kultiviertes Fleisch. Zudem konnten im Ernährungsbereich einige Geschlechtsstereotype durch Forschungen bestätigt werden. So ist ein hoher Fleischkonsum sehr mit dem Konzept von „Männlichkeit“ verbunden. Kurz gesagt, könnte kultiviertes Fleisch Männern eine Möglichkeit geben, „ihre Männlichkeit unter Beweis zu stellen“, ohne die umweltbedingten Nachteile konventioneller Fleischproduktion in Kauf nehmen zu müssen.
Wie ist Ihr Interesse an dem Thema „Kultiviertes Fleisch“ zustande gekommen?
Mein Interesse am Umweltschutz, insbesondere am Schutz der Biodiversität, besteht schon seit vielen Jahren. In meiner Forschung habe ich lange darüber nachgedacht, an welchem Punkt ich hier am effektivsten ansetzen kann. Letztendlich habe ich mich auf das Thema Ernährung konzentriert, weil alle Menschen etwas essen müssen, um zu überleben und sich nicht dagegen „wehren“ können. Zudem nehmen wir über die Auswahl unserer Nahrungsmittel indirekt Einfluss darauf, ob oder wie stark wir die Umwelt schützen oder eben schädigen. Ich habe mich zunächst mit veganer und vegetarischer Ernährung sowie mit Insekten als nachhaltiger Proteinquelle beschäftigt und bin dann schließlich bei kultiviertem Fleisch gelandet.
Wie schätzen Sie die Entwicklung der Branche ein?
Es gibt viel Storytelling im Bereich der zellulären Landwirtschaft, um Fördergelder einzuwerben. Es gibt aber auch einige belastbare Daten, was die potenzielle Marktentwicklung angeht. Grundsätzlich würde ich persönlich die Entwicklung in Deutschland als positiv beurteilen. Die Branche steht aber in einer gewissen Bringschuld: So wurde bereits vor mehr als zehn Jahren der Öffentlichkeit zum ersten Mal ein Burger aus kultiviertem Fleisch präsentiert. Seither wird immer wieder versprochen, dass man noch wenige Jahre brauche, bis die Produkte auf den Markt kommen. Es sind häufig ähnliche Storys nach dem Motto: Nächstes Jahr ist es endlich so weit.
Es gibt mittlerweile auch vereinzelte Zulassungen, wie beispielsweise in Singapur und den USA. Und in den Niederlanden wurden vor Kurzem Tastings, also Verkostungen von kultiviertem Fleisch erlaubt. In Deutschland gibt es aber immer noch keinen Burger aus kultiviertem Fleisch im Supermarkt. Das liegt vor allem an verschiedenen technischen Herausforderungen, kultiviertes Fleisch in großen Mengen zu produzieren. Außerdem ist es zugegebenermaßen auch nicht einfach, in Europa ein neuartiges Lebensmittel auf den Markt zu bringen. Hier müssen rigorose Prüfungsverfahren durchlaufen werden, die viel Zeit in Anspruch nehmen. Ich bin mir aber sicher, dass alle Beteiligten in der Szene sehr hart am Erfolg und an einem Markteintritt von kultiviertem Fleisch arbeiten. Kurz gesagt: Ich bin vorsichtiger geworden ein konkretes Datum zu nennen, wann kultiviertes Fleisch in Deutschland auf dem Markt erhältlich sein wird. Ich gehe aber davon aus, dass erste Produkte in vier bis fünf Jahren – vielleicht auch schneller – verfügbar sein werden. Ich freue mich jedenfalls sehr, demnächst Fleisch zu probieren, was es so in der Menschheitsgeschichte noch nie gegeben hat.
Dieses Interview wurde geführt und zur Verfügung gestellt von der Journalistin Susanne van Veenendaal. Im Rahmen eines Buchprojekts über kultiviertes Fleisch, das den Titel „Die neue Fleischkultur – Warum Cultured Meat gut für Tier, Mensch und Umwelt sein kann“ tragen wird, an dem Susanne van Veenendaal gemeinsam mit Christoph Werner und Bastian Huber von cultured-meat.shop arbeitet, spricht sie mit verschiedenen deutschen Unternehmen, Forschern und Initiativen der Branche.
Weitere Informationen zur Forschung und Wissenschaftskommunikation von Florian Fiebelkorn finden Sie auf Florian Fiebelkorn auf ResearchGate. Für einen tieferen Einblick in seine Projekte und Aktivitäten im Bereich der Wissenschaftskommunikation besuchen Sie seine Website.