Aufgrund des Bevölkerungswachstums und der modernen Lebensweise ist ein genereller Anstieg viraler Infektionen und deren nie dagewesene Verbreitung zu beobachten. Die Medizin steht vor der Aufgabe, immer rascher Impfstoffe und Medikamente – allen voran Antikörper – bereitzustellen.
In einem internationalen Forschungsprojekt setzen sich Forscher und Forscherinnen des Austrian Centre of Industrial Biotechnology (acib), der Universität für Bodenkultur Wien und des amerikanischen Biotechunternehmens Tonix Pharmaceuticals zum Ziel, ein neues Verfahren zur Herstellung von Antikörpern in Pflanzen zu etablieren, welches schneller, kostengünstiger und nachhaltiger als derzeitige Produktionswege ist. Sind klinische Studien erfolgreich, stehen die Chancen gut, dass diese Antikörper zukünftig in der Medizin für Impfstoffe und Medikamente gegen Corona und weitere Viruserkrankungen eingesetzt werden könnten.
„Eine große Herausforderung“ weiß Herta Steinkellner, Professorin am Institut für Pflanzenbiotechnologie und Zellbiologie an der Universität für Bodenkultur Wien und Key-Researcherin am Austrian Centre of Industrial Biotechnology (acib). „Die derzeit weltweit dominante Herstellungsmethode von Antikörpern benötigt lebende Zellen, meist Säugetier- oder menschliche Zellen. Diese Produkte werden in Industrie-Fermentoren hergestellt, welche unter sterilen Bedingungen laufen. Das macht die Herstellung von Antikörpern bisher kosten- und zeitintensiv, wodurch Produkte sehr teuer werden.“
Pharmazeutika, in Pflanzen hergestellt
Unter der Leitung von Herta Steinkellner hat ein Team der BOKU Wien und des acib ein spezielles, biotechnologisches Verfahren etabliert, das auf Proteinen basierende Pharmazieprodukte in Pflanzen herstellen kann.
„Betrachten wir die molekularen Abläufe in einer menschlichen, Säugetier- oder Pflanzenzelle, fällt auf, dass viele dieser Vorgänge einander ähneln. Das hat damit zu tun, dass sich alle Organismen aus einer Ur-Zelle heraus entwickelt haben. Dieses Phänomen nützen wir in unserem Prozessansatz“, so Steinkellner.
Indem die Forscher und Forscherinnen diese Zellabläufe gezielt steuern und verändern, können komplexe Produkte, die normalerweise nur in tierischen und menschlichen Zellen erzeugt werden, nun in Pflanzen hergestellt werden. Das Verfahren, an dem Steinkellner mit ihrem Team schon seit Jahrzehnten arbeitet, bietet einige Vorteile: Es ist kostengünstiger sowie schneller und hat das Potenzial, den Herstellungsprozess vieler Pharmazeutika umweltfreundlicher zu gestalten.
Raffiniertere Antikörper gegen SARS-CoV-2-Viren
Gleichzeitig hat Steinkellner ihre Expertise in einem weiteren Forschungsbereich in den neuen Herstellungsprozess eingebracht: die Produktion von Antikörpern. Durch die Verschränkung der Pflanzenbiotechnologie mit dem Antikörper-Engineering können die Forscher immer raffiniertere, auf Antikörper basierende Produkte herstellen. Dies stellten sie und ihr Team während der Corona-Pandemie unter Beweis – und wurden nicht nur im Rahmen der Forschungscommunity international dafür gefeiert.
„Es ist uns gelungen, mit zahlreichen Engineering-Methoden hochaktive Varianten von SARS-CoV-2-Antikörper in Pflanzen herstellen“, so Steinkellner. Auf die aufsehenerregenden Ergebnisse wurde schließlich die Biotechnologiefirma Tonix mit Hauptsitz in den USA aufmerksam.
„Tonix, die in ihren Laboren Coronavirus-Antikörper entwickeln, haben uns ein interessantes Kooperationsprojekt vorgeschlagen, nämlich ihre neu entwickelten Antikörper mit unserem neuen Herstellungssystem in einer modifizierten Weise herzustellen“, erklärt Steinkellner den Hintergrund des neuen acib-Projekts.
Verbessertes Produktionsverfahren für effizientere Produkte
Das Forschungsvorhaben wird von zwei Säulen getragen: Einerseits die Optimierung des Herstellungsverfahrens und andererseits die Modifizierung der Produkte selbst, eben jene Ziel-Antikörper.
„Dabei verwenden wir molekulares Bioengineering, um neue Funktionalitäten in fremde Arten einzuschleusen. Dazu engineeren wir sowohl den Produktionswirt – die Pflanzen – als auch das finale Produkt – die Antikörper. Beides zusammen verleiht dem finalen Produkt veränderte, optimierte Eigenschaften“, so Steinkellner.
Welche Pflanzen kommen dabei zum Einsatz? „Da wir eine große Menge an Biomasse benötigen, verwenden wir eine Tabakpflanze namens Nicotiana benthamia.“ Die Forscher infiltrieren die Pflanzenblätter mit einer Suspension, in der die Antikörper-Gen-Vehikel enthalten sind. Danach schaltet die zelluläre Maschinerie der Pflanze auf Antikörper-Produktion um. Fast wie bei der Tabakernte werden die Blätter bereits nach zirka einer Woche geerntet.
„Mit dem Unterschied, dass wir unsere Produkte in mehreren Schritten herausreinigen“, erklärt Steinkellner und führt weiter aus: „Die hochreinen Antikörper werden schließlich an der BOKU biochemischen- und bei Projektpartner Tonix u.a. funktionellen Analysen unterzogen.“
Schnellstes und nachhaltigstes Produktionsverfahren für Pharmazeutika gegen Viruserkrankungen
Durch die Produktion in Pflanzen kann die Produktionszeit von Antikörpern– wie in diesem Fall gegen Coronaviren – im Gegensatz zu herkömmlichen Verfahren, die mehrere Monate benötigten, auf nur wenige Wochen verkürzt werden. „So eine Geschwindigkeit ist mit keinem anderen System bislang möglich und ebenso in puncto Nachhaltigkeit unerreicht“, gibt Steinkellner die Signifikanz der auf Pflanzen basierenden Methode wieder. „Pflanzen brauchen lediglich Wasser, einige Mineralien und Licht für ihr Wachstum.“
Auf die Frage, ob das System breit anwendbar ist, antwortet Steinkellner: „Auf Antikörper basierende Produkte sind eine Erfolgsgeschichte der biopharmazeutischen Industrie. Das ist vor allem ihrer vielfältigen Anwendung geschuldet, die Vakzine, Therapeutika und Diagnoseverfahren beinhalten“.
Ob aus dem vorliegenden Projekt ein marktreifes Produkt entsteht, lässt sich zurzeit nicht vorhersagen. Den Foschern und Forscherinnen zufolge stehen die Chancen jedoch gut. Steinkellner sagt abschließend: „Im Normalfall braucht es allerdings mehrere Jahre, um vor allem die langwierigen – aber notwendigen – klinischen Studien abzuschließen.“
Weitere Informationen: acib.at und boku.ac.at