Das BZfE setzt sich für ein nachhaltigeres Ernährungssystem in Deutschland ein und fördert dafür aktiv eine pflanzenbasierte Lebensmittelversorgung.
Das Bundeszentrum für Ernährung (BZfE) ist ein staatliches Kompetenz- und Kommunikationszentrum für Ernährungsfragen. Ziel des Zentrums ist die Stärkung eines gesundheitsförderlichen, ressourcenschonenden, umwelt- und klimasensiblen Lebensstils bei den Menschen in Deutschland. Das BZfE steht dabei nach eigenen Angaben für verlässliche Ernährungsinformationen sowohl für Verbraucher als auch für Multiplikatoren und Experten. Als Teil der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) unterstützt und berät es zudem das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) bei der Erfüllung seiner Aufgaben.
Seit dem 1. August 2023 ist Eva Zovko die neue Leiterin Bundeszentrum für Ernährung (BZfE) und damit die Nachfolgerin von Dr. Margareta Büning-Fesel. Sie erklärt uns im Interview, welche strategischen Ziele das BZfE zukünftig zur Förderung einer nachhaltigeren und pflanzenbetonteren Erährungsweise verfolgt und welche Schlüsselrolle dabei eine umfassende Ernährungskommunikation spielt.
Frau Zovko, Sie sind die neue Leiterin des Bundeszentrums für Ernährung, welche Vision für die Organisation und ihre Rolle bei der Förderung einer nachhaltigeren und gesünderen Lebensmittelwahl verfolgen Sie?
Mein Ziel ist es, etwas zu bewegen und mit dem Bundeszentrum für Ernährung einen wirksamen Beitrag zur Transformation der Ernährung zu leisten – im Rahmen unserer Möglichkeiten und unserer Aufgabe. Das BZfE ist das Kommunikations- und Kompetenzzentrum für Ernährungsfragen. Unsere Rolle als BZfE ist, für eine ressourcen-, umwelt- und klimasensible sowie gesunde Ernährung praxisnahe Orientierung zu bieten und konkrete Impulse zu setzten. Unser Anspruch ist die verlässliche Information, neutral und wissenschaftlich fundiert. Unser Ziel ist eine kreative Ernährungskommunikation, digital und dialogisch.
Wer gut geplant und saisonal einkauft, möglichst viel selbst kocht und übrig gebliebene Lebensmittel geschickt verwertet, schützt beim Essen nicht nur seine eigene Gesundheit, sondern trägt auch zur Gesunderhaltung des Planeten bei. Um diese Kernbotschaften dreht sich im Prinzip unsere Kommunikation. Nicht nur gesund, gut für Umwelt und Klima, sondern auch bunt, vielfältig und lecker – das ist unsere Vision für eine zukunftsfähige Ernährung, die letztlich allen zugänglich sein muss.
Uns allen sollte bewusst sein: Die Art und Weise, wie wir Lebensmittel produzieren und konsumieren, wirkt sich über nationale Grenzen hinweg und nicht zuletzt langfristig aus. Das Thema Ernährungssicherung betrifft auch uns und künftige Generationen. Wir alle wünschen unseren Kindern und Enkeln ein gesundes und glückliches Leben. Eine nachhaltige Ernährung schützt und respektiert die biologische Vielfalt und die Ökosysteme, sie ist kulturell angepasst, verfügbar, ökonomisch gerecht und bezahlbar, ernährungsphysiologisch angemessen, sicher und gesund, und verbessert gleichzeitig die natürlichen und menschlichen Lebensgrundlagen. Und ja, das ist teils Zukunftsmusik – und genau deshalb braucht es eine Transformation des Agrar- und Ernährungssystems.
Um diesen komplexen Anforderungen unserer Zeit zu begegnen, ist mein Anliegen eine noch engere strategische Vernetzung mit den Akteurinnen und Akteuren im Ernährungsbereich sowie mit benachbarten relevanten Disziplinen und ein intensiver Austausch mit Institutionen, Verbänden, Medien, mit Vertreterinnen und Vertretern von Bund und Ländern, mit Wissenschaft und Praxis zur Bündelung unserer Kompetenzen. Auf den Weg in eine nachhaltige Zukunft müssen wir uns gemeinsam machen.
Wie sind Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland aus Ihrer Sicht in Bezug auf Lebensmittel- und Ernährungswissen aufgestellt? Wo sehen Sie den größten Handlungsbedarf? Und welche Rolle spielt die Ernährungsbildung und -kommunikation für eine ökologische Ernährungswende oder auch Proteinwende?
Einerseits befassen sich viele Menschen intensiver mit ihrer Ernährung und achten vermehrt auf die Qualität der Lebensmittel. Viele essen flexitarisch, vegetarisch, pescetarisch oder vegan. Andererseits hat zum Beispiel die Ernährungskompetenzstudie der AOK gezeigt, dass etwa die Hälfte der erwachsenen Bevölkerung über eine inadäquate Ernährungskompetenz verfügt.
Gleichzeitig ist Ernährung in den Sozialen Medien eines der beliebtesten Themen überhaupt. Allein auf Facebook gibt es über 135 Mio. Beiträge zum Hashtag #food, bei Instagram sogar 509 Mio. und auf TikTok erreichen Rezepte regelmäßig mehrere Millionen Likes. Essen, Kochen und Ernährung ist der Themenbereich mit dem höchsten Interesse der Social-Media-Nutzenden in Deutschland.
Festzuhalten ist, dass noch nie so viel über Ernährung geredet, berichtet und diskutiert, gebloggt und „gevlogt“ wurde wie heute. Eine große Rolle spielen dabei die sozialen Netzwerke, hier sehe ich daher kommunikativen Handlungsbedarf. Wir müssen uns bewusst sein, dass im Jahr 2020 lt. Statistischem Bundesamt 45 % der deutschen Bevölkerung aktiv Social Media nutzten, wobei die jüngere Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen mit über 90 % die Hauptnutzer sind, aber auch die 50-plus-Generation verzeichnet stetig Zuwächse. Insbesondere um jüngere Communities zu erreichen, müssen wir uns digitaler ausrichten. Instagram, Twitter, Facebook, YouTube, LinkedIn und TikTok – das sind die Informationskanäle der unter 49-Jährigen. In absehbarer Zeit werden Soziale Medien oder andere Formen digitaler Medien die Hauptinformationsquelle der Gesellschaft sein.
In den letzten Jahren hat die Ernährungskommunikation also eine einschneidende Veränderung erfahren. Während früher vor allem professionelle Akteure wie Institutionen, Ernährungsberaterinnen und -berater, Medien, Unternehmen und Organisationen über Ernährung, Lebensmittel und Gesundheit informierten, reden heute alle mit. Jeder kann über die sozialen Kanäle seine Erfahrungen und Meinungen teilen. Suchmaschinen präsentieren in Bruchteilen von Sekunden Antworten auf jede denkbare Frage, nun kommt noch die künstliche Intelligenz wie ChatGPT hinzu. Die institutionelle Ernährungskommunikation steht vor der Herausforderung den Anschluss an die Verbraucherinnen und Verbraucher nicht zu verlieren. Dem müssen wir uns stellen. Das BZfE ist schon seit Jahren auf Twitter, Youtube, Facebook und Instagram aktiv, aktuell kommt unser neuer BZfE-LinkedIn-Kanal dazu. Auf den Bereich Social Media werden wir uns noch mehr fokussieren und den Diskurs aktiver mitgestalten, denn soziale Medien können meines Erachtens grundsätzlich dazu genutzt werden, Verhaltensänderungen zu vermitteln, zu begleiten oder zu verstärken. Inwieweit über Soziale Medien das Ernährungsverhalten aktiv zu beeinflussen ist, ist aktuell Gegenstand diverser Studien, die vielversprechende Ergebnisse zeigen. Es fehlt derzeit aber noch an Evidenz.
Problematisch sind Fehlinformationen, insbesondere in den sozialen Netzwerken, denn diese können ernsthafte Folgen haben. Zu viele Verbraucherinnen und Verbraucher gehen davon aus, dass Informationen grundsätzlich richtig sind, nur, weil sie im Internet stehen. Die Menschen brauchen hier mehr Orientierung. Das ist eine wichtige Aufgabe für das BZfE.
Den größten Kommunikationsbedarf sehe ich im Zusammenhang mit der notwendigen Transformation hin zu nachhaltigen Ernährungssystemen, für eine pflanzenbetonte, gesunde Ernährung und den Konsum nachhaltiger tierischer Produkte sowie für die Reduzierung von Lebensmittelverschwendung. Wichtig ist uns auch die Kommunikation für und mit Gestaltern und Entscheidern der Ernährungsumgebungen. Denn wenn die Ernährungsumgebung nicht stimmt, dann ist auch die beste Kommunikation unglaubwürdig.
Das Thema Ernährungsbildung ist nicht minder komplex. Es reicht keineswegs aus, theoretisch über eine gesundheitsförderliche und nachhaltige Ernährung zu informieren. Das führt noch lange nicht zu einem gesunden und schon gar nicht zu einem nachhaltigen Konsum. Es ist wichtig, die Zusammenhänge zu verstehen – zwischen Ernährung, Gesundheit und Nachhaltigkeit. Sinnvoll ist es, Handlungsoptionen aufzuzeigen, diese alltagsnah erfahrbar zu machen, sie zu erproben und immer wieder zu reflektieren. So können sich gesunde und nachhaltige Lebensstile ausprägen.
Das BZfE setzt sich dafür ein, dass Ernährungsbildung ganzheitlich gedacht wird. Damit ist gemeint, dass Schulen und Kitas ihre Prozesse, Strukturen und Rahmenbedingungen insgesamt so gestalten, dass Ernährungskompetenz entwickelt, eingeübt und gefördert werden kann. Das Ziel ist, letztlich alle Personen in den Institutionen (Schülerinnen und Schüler, Schulleitungen, Lehrkräfte, pädagogische Fachkräfte, nicht unterrichtendes Personal, aber auch Eltern/ Erziehungsberechtigte) für ernährungskompetentes Handeln zu stärken. Dazu gehört in Schulen natürlich auch Unterricht, der in gebotener Qualität Ernährungsbildung ermöglicht. Hier unterstützt das BZfE beispielsweise mit erprobten Materialien und Fortbildungen für Lehrkräfte. Aber Schule ist letztlich viel mehr als Unterricht. Genauso wichtig ist, die Ernährungsumgebungen in Schulen, aber auch in Kitas, gesundheitsförderlich und nachhaltig zu gestalten. Wir reden hier von einem attraktiven Mensa-/Verpflegungsangebot genauso wie vom Schulkiosk, Wasserspendern, etc. Für Schülerinnen und Schüler ist es eine gute Erkenntnis, dass sie über ihre Ernährung nicht nur einen ökologischen Fußabdruck, sondern auch einen nachhaltigen Handabdruck hinterlassen können, wenn sie sich zum Beispiel gemeinsam für eine bessere Mensa einsetzen.
Ernährungskompetenz ist als wichtiger Teil des Leitbilds einer Bildungseinrichtung sowie der Schul- und Kita-Entwicklung zu verstehen. Wir unterstützen Verantwortliche dabei, Schulen und Kitas als geschützte Räume zu guten Ernährungsumgebungen umzugestalten. Denn: Bildung ist der Schlüssel!
Mit Ihrer umfangreichen Erfahrung in der Ernährungskommunikation, welche Strategien eignen sich aus Ihrer Sicht, um Wissen zu klimafreundlicher Ernährung effektiv an verschiedene Zielgruppen zu vermitteln?
Alle Best-Practice-Beispiele zeigen: Kommunikation ist nie eindimensional. Einzelne Maßnahmen finden kaum Erfolg; es bedarf stets ganzheitlicher Kommunikations- und Kampagnenansätze, die sowohl die Verhaltens- als auch die Verhältnisprävention im Blick haben. Es ist uns bewusst, dass die verhaltensändernde Wirksamkeit von Information und Kommunikation begrenzt ist, dennoch können sie in Verbindung mit verhältnispräventiven Maßnahmen einen wichtigen Beitrag leisten. Die Wahl der Kommunikationskanäle und die Ansprache der Zielgruppen ist für den Erfolg ausschlaggebend. Die erste Hürde, die genommen werden muss, ist die Wahrnehmungsschwelle.
Ernährungskommunikation ist keine Einbahnstraße: Um erfolgreich eine klimafreundliche Ernährung zu kommunizieren, ist es nötig, mit den Menschen in den Dialog zu treten und nicht einfach nur Empfehlungen auszusprechen. Nur so lassen sich die Bedürfnisse und Gewohnheiten der Menschen erkennen und Kompetenzen vermitteln, die handlungsorientiert und im Alltag konkret anwendbar sind. Wir müssen Fragen stellen, diskutieren und auch Anstöße bieten. Vor allem im digitalen Raum gilt es Impulse zu gegeben und gesellschaftliche Resonanzen anzustoßen.
Ein Perspektivwechsel ist unabdingbar: Allzu häufig erfolgt Kommunikation aus der Sicht der Absenderinnen und Absender. Eine echte Chance besteht aber darin, die Bedürfnisse und Interessen der Zielgruppen kennenzulernen, sie zu verstehen und hier anzusetzen. Wir müssen verstehen, mit welchen Einstellungen, Werten und Interpretationen die Menschen zum Beispiel übergeordnete Nachhaltigkeitsziele verbinden. Wir müssen weniger senden und mehr zuhören: Welchen Platz findet eine nachhaltige, stärker pflanzenbetonte Ernährung im Alltag der Menschen?
Kommunikation braucht praktische Relevanz sowie positive und emotionale Ansprache: Nachhaltige Ernährung muss aus der Verbots- und Verzichtsnarration herausgeholt werden. Die Herausforderung ist, Gräben zu überwinden und jenseits der üblichen „Bubbles“ Lust am Wandel entfachen – mit inspirierenden Beispielen entlang der gesamten Wertschöpfungskette, von engagierten Produzierenden bis hin zu kulinarisch begeisterten Verbraucherinnen und Verbrauchern. Die pflanzenbetonte Zukunft ist verführerisch, lecker und vielfältig – das macht Spaß! Und es geht nicht um Perfektion. Die ersten Schritte zählen!
Wie sehen Sie die Rolle des Bundeszentrums für Ernährung bei der Förderung des Verständnisses und der Verbreitung von klimafreundlichen Proteinquellen sowie innovativen Lebensmittelprodukten, wie Produkte aus zellulärer Landwirtschaft?
Die Planetary Health Diet beschreibt, wie wir das Agrar- und Ernährungssystem verändern sollten. Als wichtigste Maßnahme gilt, die Erderwärmung zu begrenzen. Denn die Trockenheit wird ganz wesentlich durch den Klimawandel bedingt. Dazu müssen alle beitragen, die Landwirtschaft, die Bürgerinnen und Bürger mit ihren Lebensstilen und auch die Politik. Es braucht einen deutlichen Umbau der Landwirtschaft in vielen Regionen. Die nachhaltige Ernährungsweise enthält künftig viel mehr Obst und Gemüse, Hülsenfrüchte und Nüsse und viel weniger Fleisch.
Wir plädieren bei dieser Thematik unbedingt für eine differenzierte Betrachtungsweise. Auf der einen Seite sind tierische Produkte zum Beispiel hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf unser Klima für hohe Emissionen verantwortlich. Wir sollten daher ihren Verbrauch deutlich reduzieren. Auf der anderen Seite sind die Futtergrundlagen gerade bei Wiederkäuern und die richtigen Produktionsverfahren wichtig dafür, welche Produktion von tierischem Protein wir künftig weiter betreiben. Grünland braucht Kühe und Schafe, die es nutzen und kann nicht einfach so zum Gemüsestandort werden. Gerade für den ökologischen Landbau muss Tierhaltung im Sinne einer Kreislaufwirtschaft erhalten bleiben. Diese Haltung versuchen wir auf unseren vielen verschiedenen Kanälen zu vermitteln.
Aus Umweltsicht stehen pflanzliche Proteine sehr viel besser da, vor allem, wenn sie gering verarbeitet genutzt werden. Auch hochprozessierte Fleischersatzprodukte haben in der Regel eine bessere Bilanz, mit wenigen Ausnahmen. Pflanzliche Fleischersatzprodukte belasten zudem Grundwasser und Boden mit weniger Nährstoffen und emittieren geringere Mengen von Treibhausgasen. Besser ist es aber, Lebensmittel wie Gemüse und Hülsenfrüchte zu verwenden, die wenig oder gar nicht weiterverarbeitet sind.
Da Sie auf Zellkultur-Fleisch ansprechen, möchte ich festhalten, dass sich sichere Aussagen zu positiven Umweltwirkungen von In-vitro-Fleisch vorerst nicht treffen lassen, da produzierende Großanlagen noch fehlen und die Verwendung von erneuerbaren Energien höchst unklar ist. Problematisch bleiben der sehr hohe Energieverbrauch bei der Produktion und das zugrundeliegende Nährmedium. Es wird sich zeigen, ob hier auf absehbare Zeit wirklich nachhaltige Alternativen entstehen. Insofern halten wir die mediale Aufmerksamkeit rund um dieses Thema für sehr hoch, während eine tatsächliche Verfügbarkeit nachhaltiger Produkte für Verbraucherinnen und Verbraucher unzureichend absehbar ist. Das ist nicht unbedingt hilfreich. Zwar hat gerade ein israelisches Unternehmen auch ohne, dass die vorhandenen Großkapazitäten vorhanden sind, die Zulassung des Zell-Fleisches in der Schweiz und in Großbritannien beantragt. Dennoch wird sich der Zulassungsprozess noch eine ganze Weile hinziehen.
Eines der Ziele des BZfE ist die Förderung eines gesunden Lebensstils durch nachhaltige Lebensmittelwahl. Welche konkreten Initiativen oder Kampagnen setzte das BZfE bereits um oder plant es, um dieses Ziel zu erreichen?
Wir haben eine solche Fülle an Information und Initiativen. Besuchen Sie uns auf bzfe.de und folgen Sie uns in den sozialen Netzwerken. Ich freue mich auf den (virtuellen) Austausch mit Ihnen!
Frau Zovko, wir bedanken uns für das ausführliche Gespräch.
Weiter Informationen zum Bundeszentrum für Ernährung (BZfE) finden Sie unter www.bzfe.de und www.ble.de.