Interviews

Im Interview mit CellTec Systems: „Bei der Zell-Kultivierung geht es nicht nur um Lebensmittel. Wir haben eine völlig neue nachwachsende Rohstoffquelle, ähnlich bedeutsam wie Erdöl.“

Das Lübecker Unternehmen CellTec Systems versteht sich als erster deutscher Komplettanbieter für die industrielle Zellproduktion. Wer in die zelluläre Landwirtschaft einsteigen will, kann hier alle Bausteine für die Produktion erhalten: Zellen, Nährlösung, Bioreaktoren und sogar Schulungen sowie Berater-Leistungen. Was die Firma, die eine Ausgründung der Fraunhofer-Gesellschaft und der Universität zu Lübeck ist, so besonders macht, ist die rund 25-jährige Expertise in puncto Zell-Kultivierung. Zudem hat CellTec Systems einen speziellen Bioreaktor mit Hydrogel-Kapseln entwickelt, der den immensen Flächenbedarf von sich teilenden Zellen decken soll.

Professor Dr. Charli Kruse, Mitgründer und wissenschaftlicher Leiter von CellTec Systems, spricht im Interview mit uns darüber, warum er seine Kollegen und sich als Zellflüsterer bezeichnet, wie der patentierte Reaktor mit Hydrogel-Kapseln funktioniert und weshalb er selbst nicht in die Kulturfleisch-Produktion einsteigen will.

Porträt von charli kruse
© CellTec Systems

Stellen wir uns einmal vor, dass jemand in der Kulturfleisch-Branche mitmischen möchte und nun bei CellTec Systems eine Art Einkaufstour macht. Als erstes braucht die Person Zellen. Welche kann man bei Ihnen bekommen?

In unserer Zellbank haben wir Zellen von etwa 30 Tieren. Darunter sind beispielsweise Zellen von Schweinen, Ziegen, Kaninchen und Schafen. Oftmals verfügen wir über verschiedene Rassen – so wie bei den Rindern, die unter anderem aus Schleswig-Holstein und Frankreich stammen. Verschiedene Fischzellen von Aal, Forelle und Stör gehören ebenfalls zum Sortiment.

Ihr wissenschaftlicher Weg begann in der Meeresbiologie. Liegt Ihnen die Kultivierung von Fischfleisch deshalb besonders am Herzen?

Ja, denn wir müssen den Druck aus den Meeren nehmen und die Fischbestände schützen. Tierhaltung muss generell auf einem vernünftigen ökologischen Level passieren. Ich bin nicht vegan, Tiere müssen aber anständig gehalten werden und wir müssen im globalen Maßstab weg von der Massentierhaltung.

Glauben Sie, dass kultiviertes Fleisch die Verbraucher überzeugen kann?

Ob es sich um geschlachtetes oder kultiviertes Fleisch handelt, wird für den Verbraucher von der sinnlichen Erfahrung her wohl keinen Unterschied machen. Ich bin überzeugt, dass der Geschmack identisch sein wird. Beim Geruch ist es schon jetzt so. Wenn wir beispielsweise Kaninchenzellen in ausreichender Menge kultivieren, riecht es nach deren Aufkonzentration und Trocknung original nach Kaninchenstall.

Celltec systems logo
© Celltec Systems GmbH

Wo bekommen Sie die Zellen her? Ist es richtig, dass CellTec Systems für seine Kunden sogar die Biopsie beim Tier übernimmt?

Grundsätzlich schon, aber bislang war dies nicht nötig. Weil für die Zellkulturen nur kleine Gewebestücke erforderlich sind, reichen oftmals nicht verwendete Teile vom Schlachthof. Das ist doch besser, als wenn die weggeworfen werden. So wurde es früher auch gemacht: Alles vom Tier wurde genutzt – von der Haut bis zu den Knochen. Eine weitere Zell-Quelle sind Ohr-Biopsien. Kälber bekommen in den landwirtschaftlichen Betrieben Ohrmarken. Aus der dabei anfallenden Stanze, also dem ausgestanzten Gewebe, erhalten wir eine Probe. Das Verfahren der Ohr-Biopsie wird von uns gerade optimiert. Doch es gibt viele weitere Möglichkeiten, an Gewebe mit genügend Zellen zu gelangen: Beispielsweise eignen sich dafür auch die Nabelschnur, die Plazenta und Überbleibsel von Tier-Operationen.

Wie groß muss das Gewebe sein?

Ein bis zwei Millimeter große Stückchen reichen vollkommen aus. Dann wird das Material mechanisch und mit Hilfe von Enzymen zerkleinert. Aus einer Biopsie können meist mehr als 100.000 Zellen gelöst werden. Manche behält man, manche friert man ein. Mir ist es wichtig, mit natürlichen und nicht mit gentechnisch veränderten Zellen zu arbeiten – vor allem, um die Akzeptanz in der Bevölkerung nicht zu gefährden.

Die gewonnen Zellen sind extrem klein. Wie lange müssen sie wachsen, bis daraus ausreichend Fleisch entstanden ist?

Eine einzelne Zelle wiegt etwa ein bis zwei Nanogramm. Ein Nanogramm ist ein Milliardstel Gramm. Doch nach 50 Tagen können hieraus ein bis zwei Tonnen Biomasse kultiviert werden. Das funktioniert wie bei der Legende mit dem Schachbrett und dem Reiskorn.

Was passiert in diesem Märchen noch mal und was hat es mit Zellwachstum zu tun?

In der Geschichte darf ein weiser Brahmane bei dem Herrscher seines Landes für die Erfindung des Schachspiels einen Gefallen einfordern. Er wünscht sich – scheinbar bescheiden – Reis. Die geforderte Menge beschreibt er mit Hilfe des Schachtbretts. Auf das erste Feld soll der Herrscher ein Reiskorn legen. Auf das zweite Feld die doppelte Menge, also zwei Körner. Auf das dritte Feld gehört wieder die doppelte Anzahl, also vier Körner. Nach diesem Prinzip soll bis zum letzten Feld des Schachbretts vorgegangen werden. Am Anfang lachen der Herrscher und seine Gelehrten noch über diese vermeintlich klägliche Bitte. Doch am Ende kommen so viele Reiskörner zusammen, dass der Herrscher den Wunsch nicht erfüllen kann. Das Märchen verdeutlicht das Wesen des exponentiellen Wachstums. Weil sich auch Zellen auf diese Weise immer wieder verdoppeln, erreichen sie ebenfalls nach recht kurzer Zeit gigantische Mengen.

Wie kann man sich die Konsistenz der gewonnene Zellmasse vorstellen?

Bei der Zellkultivierung hat man am Ende keine festen Brocken, sondern eher eine Art hochkonzentrierte Proteinsuppe. Zellen haben kein festes Stützskelett. Deshalb setzen viele Unternehmen auch auf Hybrid-Produkte. Hierbei werden kultivierte Tierzellen mit einer pflanzlichen Basis, die für Struktur sorgen soll, gemischt. Denn eine feste Beschaffenheit wie beim Kotelett stellt Kulturfleisch-Firmen noch vor Herausforderungen. Machbar sind aktuell vor allem Hackfleisch- und Pasteten-artige Konsistenzen. Ein Steak nur aus Zellen herzustellen ist die höchste Kunst.

Welchen Einfluss hat die Nährlösung auf die Zellkultur?

Auch die Nährlösung, in der die Zellen wachsen sollen, ist für das Gelingen der Kultur selbstverständlich entscheidend. Für unsere Kunden wollen wir genau die richtige, auf die jeweiligen Zellen abgestimmte Mischung, bereithalten – natürlich ohne fetales Kälberserum, sonst kann man das mit der Akzeptanz in der Bevölkerung vergessen. Die Nährlösung möchten wir gerne von einem externen Partner liefern lassen. Entsprechende Kooperationen befinden sich im Aufbau.

Führen wir die virtuelle Einkaufstour fort: Der Kunde hat sich also für die Zellen entschieden, die Nährlösung ist auch bestellt. Nun fehlt ihm noch ein Bioreaktor, in dem er das Ganze heranzüchten möchte. Diese Reaktoren gibt es doch schon auf dem Markt…

Natürlich gibt es die Behälter auch woanders. Sie kommen aber aus dem Pharma-Bereich und sind nicht für andere industrielle Zellkulturen, wie wir sie benötigen, ausgelegt. Man kann in ihnen keine Tonnen an Biomasse produzieren, ohne dass die Kosten explodieren. Für die Reaktortechnik hat sich CellTec Systems deshalb etwas Besonderes einfallen lassen: Erstens besteht unser patentierter Reaktor aus verschiedenen Modulen und ist in mehreren Größen erhältlich. Zweitens wird bei der Zellvermehrung mit Hydrogelen gearbeitet. Durch diesen Clou kann man den immensen Flächenbedarf der Zellen bedienen.

Wie genau funktioniert das?

Zellen benötigen eine Oberfläche zum Anhaften. Erfüllt man ihnen diesen Wunsch, duplizieren sie sich, bis sie an eine andere Zelle anstoßen. Und das ist auch gut so. Denken wir beispielsweise an einen Schnitt in unserer Haut. Bei einer Verletzung stoppen die Zellen ihre Teilung, sobald die Wunde geschlossen ist. Um das Wachstum einer Kultur nicht zu unterbrechen, dürfen sich die Zellen nicht berühren, man benötigt also viel Platz. Wenn ich auf diese Weise ein Steak erhalten will, brauche ich die Fläche eines halben Volleyballfeldes. Nun kommt der Trick: Anstatt zweidimensional vorzugehen, fügt man eine dritte Dimension ein. Ich muss die Kultur in 3D erzeugen, nicht in 2D. Das ist des Pudels Kern.

Bluu seafood cultivated fish balls copyright bluu gmbh wim jansen
Fisch-Produkt aus zellulärer Landwirtschaft © BLUU GmbH / Wim Jansen

Und welche Aufgabe haben die Hydrogel-Kapseln?

Um die dritte Dimension zu schaffen, bieten wir den Zellen die Hydrogel-Kapseln an. Diese kleinen Kügelchen kann man sich wie die Perlen in einem Bubble Tea vorstellen. Die Zellen vermehren sich in den Miniatur-Bällen, die durch ihre Innenstruktur ein Vielfaches an Oberfläche liefern. Auch, wenn die Zellen hier irgendwann aneinanderstoßen, behindert das die Aktivität in den Nachbar-Bubbles nicht. Ist das Wachstum abgeschlossen, werden die Kügelchen aufgelöst und übrig bleiben die Zellen.

Bleibt noch die Frage nach der Sterilität. Können Zellkulturen in Bioreaktoren keimfrei gehalten werden? Kritiker der zellulären Landwirtschaft bezweifeln schließlich, dass dies möglich ist.

Ich kann die Skepsis verstehen, sehe aber letztendlich kein Problem. Zurzeit werden Zellen im Labor noch in Petrischalen und vorsichtshalber unter Zugabe von Antibiotika vermehrt. Geschlossene Reaktorsysteme könnten jedoch steril gehalten werden. Es gibt bereits Firmen, die Zell-Kulturen auf diese Weise drei Monate und länger sauber gehalten haben. Und drei Monate reichen völlig aus.

Fassen wir zusammen: In unserem vorgestellten Einkaufswagen liegen nun Zellen, Nährlösung und ein Bioreaktor-System mit Hydrogel-Kapseln. Kann nun jedes Unternehmen mit der Kulturfleisch-Zucht loslegen?

Da der Umgang mit biologischen Zellkulturen alles andere als trivial ist, bleiben die Ergebnisse häufig hinter den Erwartungen zurück. Sehr häufig fehlt es an erprobtem Fachwissen und Fertigkeiten. Deshalb können Unternehmen ihre Mitarbeiter von CellTec Systems in Zellkultur-Kursen online oder in Präsenz schulen lassen. Update-Kurse sichern, dass das Wissen des Personals immer auf dem neuesten Stand ist. Wir bieten bei uns in Lübeck Schulungen als Workshop an, wir können zudem aber auch in die Betriebe kommen.

Ihr Unternehmen verfügt also über das nötige Wissen, die Maschinen, Materialien und Patente – warum steigt CellTec Systems nicht selbst in die Kulturfleisch-Produktion ein?

Das ist eine Frage der Kapazität. Erstens müsste man hier Investitionen von mehr als 100 Millionen tätigen. Das ist nicht unsere Größenordnung. Zweitens bin ich mit Herz und Seele Wissenschaftler und Entwickler. Die Industrie und Produktion ist eine andere Welt. Wer hier einsteigt, ist raus aus dem Wissenschaftsbetrieb.

Warum ist es Ihnen so wichtig, der industriellen Zellvermehrung Ihr eigenes Know-how zur Verfügung zu stellen?

Für mich ist diese Technologie die Zukunft. Hier geht es nicht nur um Lebensmittel. Wir haben eine völlig neue nachwachsende Rohstoffquelle, ähnlich bedeutsam wie Erdöl. Man kann beispielsweise nicht nur Fleisch für den menschlichen Verzehr, sondern auch Tierfutter herstellen. Für die Kosmetik-Industrie könnten Alternativen zu Tierversuchen und für die Pharmaindustrie Möglichkeiten für die schnelle Vakzin- beziehungsweise Proteinproduktion angeboten werden. Vieles, wofür wir bisher lebende Tieren benötigt haben, könnten wir künftig mit Hilfe von Zellen erledigen. Das finde ich gigantisch.

Weitere Informationen: celltec-systems.com

Dieses Interview wurde geführt und zur Verfügung gestellt von der Journalistin Susanne van Veenendaal. Im Rahmen eines Buchprojekts über kultiviertes Fleisch, an dem Susanne van Veenendaal gemeinsam mit Christoph Werner und Bastian Huber von cultured-meat.shop arbeitet, spricht sie mit verschiedenen deutschen Unternehmen, Forschern und Initiativen der Branche.

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