Sechs Wochen nach der Bundestagswahl haben die Parteispitzen von CDU/CSU und SPD heute Nachmittag ihren Koalitionsvertrag als gemeinsame Arbeitsgrundlage vorgestellt.
Unternehmen und zivilgesellschaftliche Akteure zeigen sich teils ernüchtert, teils hoffnungsvoll über den neuen Koalitionsvertrag.
„Umfassende und ambitionierte EU-Eiweißstrategie“
Der Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD enthält unter anderem die Formulierung: „Wir setzen uns für eine umfassende und ambitionierte EU-Eiweißstrategie ein und stärken den heimischen Anbau von Eiweißpflanzen, um den Import zu verringern. Wir fördern die Entwicklung und Markteinführung nachhaltiger alternativer Proteine.“
Das Good Food Institute Europe freut sich über das starke Signal und fordert entschlossenes Handeln:
„Die Koalitionsparteien haben sich vorgenommen, die Proteindiversifizierung weiter voranzutreiben. Das ist ein starkes Signal für Innovationskraft, Wettbewerbsfähigkeit und Ernährungssicherheit in Deutschland. Dass die neue Koalition den heimischen Anbau von Eiweißpflanzen stärken und nachhaltige alternative Proteine fördern will, zeigt Weitblick. Mit mutigen politischen Entscheidungen kann Deutschland eine internationale Vorreiterrolle im Bereich alternativer Proteinquellen einnehmen. Konkret braucht es dafür jetzt den gezielten Ausbau der öffentlichen Forschungsförderung, eine bessere Unterstützung von Unternehmen bei den komplexen EU-Zulassungsverfahren für neuartige Lebensmittel und eine ambitionierte Proteinstrategie der neuen Bundesregierung. Durch entschlossenes Handeln in diesen Feldern kann die künftige Regierung Innovationskraft, Wertschöpfung und zukunftsfähige Arbeitsplätze in Deutschland nachhaltig sichern.“, so Ivo Rzegotta, Senior Public Affairs Manager beim Good Food Institute Europe.
Laut einer im Februar vom Beratungsunternehmen Systemiq veröffentlichten Studie könnte die Branche für alternative Proteine mit hinreichender politischer Unterstützung bis 2045 bis zu 65 Milliarden Euro zur deutschen Wirtschaftsleistung beitragen (25 Milliarden Euro bis 2030) und 250.000 neue zukunftsfeste Arbeitsplätze schaffen (95.000 Arbeitsplätze bis 2030).
Laut einer repräsentativen Umfrage von YouGov finden Maßnahmen zur Proteindiversifizierung viel Zustimmung in Deutschland: 53 Prozent befürworten eine Unterstützung von Landwirten bei der Transformation hin zum Anbau von mehr Eiweißpflanzen, 47 Prozent wünschen sich mehr pflanzliche Optionen in der Gemeinschaftsverpflegung, und 47 Prozent sprechen sich für mehr Forschung zu pflanzlichen Alternativen aus.
Oatly kritisiert fehlenden Fokus auf zukunftsfähiges, pflanzenbasiertes Ernährungssystem
„Leider wurden wichtige Themen aus den Bereichen Klima und Ernährung vernachlässigt. Vergeblich hofften diverse Stakeholder auf ein klares Bekenntnis zu einem zukunftsfähigen und emissionsärmeren Ernährungssystem“, teilt Oatly mit.
Svenja Fritz, Geschäftsführerin von Oatly DACH & Polen äußerte sich wie folgt:
„Die kommende Legislaturperiode ist entscheidend für unsere Zukunft. Und dennoch wird ein Thema im politischen Programm der Koalitionäre völlig vernachlässigt: die Transformation zu einem zukunftsfähigen, pflanzenbasierten Ernährungssystem. Dies ist fahrlässig, da es ein zentrales Handlungsfeld der nächsten Jahre verkennt.
Wir fordern einen Aktionsplan für eine emissionsärmere, nachhaltigere Ernährung, der Innovationen fördert, faire Wettbewerbsbedingungen schafft und Aufklärung betreibt. Ein besonders wichtiger und längst überfälliger Schritt, der hierbei berücksichtigt werden muss, ist die Reduzierung der Mehrwertsteuer auf Pflanzendrinks von 19 auf 7 Prozent. Damit ließe sich ein entscheidender Impuls für fairere Wettbewerbsbedingungen setzen. Ein solcher Aktionsplan ist nicht nur unabdingbar zur Bekämpfung der Klimakrise, sondern würde auch enorme wirtschaftliche Potenziale freisetzen: Der Markt für pflanzliche Lebensmittel wächst kontinuierlich und könnte in Deutschland bis 2045 circa 250.000 neue Arbeitsplätze schaffen.
In Dänemark hat der Aktionsplan für pflanzenbasiertes Essen bereits positive Impulse gesetzt. Auch auf europäischer Ebene wird diese Transformation diskutiert, während Deutschland erneut Gefahr läuft, eine wichtige Weichenstellung zu versäumen und im internationalen Wettbewerb abgehängt zu werden.
Als wissenschaftliches Unternehmen erwartet Oatly ein politisches Umfeld, das Fakten und Forschung auch in Zeiten zunehmender Polarisierung priorisiert. Eine evidenzbasierte Politik sowie der Dialog mit Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft sind dabei unerlässlich. Wir stehen gerne bereit, den dringend benötigten Wandel gemeinsam voranzutreiben und Deutschland zum internationalen Vorreiter einer progressiven, zukunftsfähigen und nachhaltigen Ernährungswende zu machen. Einen weiteren Aufschub können wir uns nicht leisten, die Zeit zu Handeln ist jetzt.“
Kritik an fehlenden Tierschutzmaßnahmen und Steuererleichterungen für die Gastronomie
Foodwatch übt Kritik am Koalitionsvertrag, insbesondere wegen der zu schwachen Ansätze in Bezug auf Tierschutzthemen sowie der geplanten Steuersenkung für Restaurants, von der vor allem umsatzstarke Ketten profitieren. „Diese Koalition wird von allein keine Ernährungswende herbeiführen. Sie wird weder für faire Preise noch für mehr Transparenz oder Tierschutz sorgen. Sie überlässt unsere Ernährung der Industrie. Angesichts des wachsenden Misstrauens der Bevölkerung gegenüber der Politik ist das fatal“, sagt Dr. Chris Methmann, Geschäftsführer foodwatch Deutschland.