Interviews

GFI Europe: „2023 wird ein ganz entscheidendes Jahr für die Frage, ob Deutschland weiter ein Innovationsmotor bei pflanzlichen und kultivierten Proteinen bleibt“

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© The Good Food Institute (GFI)

Das Good Food Institute (GFI)setzt sich als internationale Nichtregierungsorganisation dafür ein, das globale Lebensmittelsystem für den Planeten, die Menschen und die Tiere zu verbessern. Das Netzwerk von Organisationen hat sich dafür auf die Förderung alternativer Proteine spezialisiert, insbesondere im Bereich pflanzenbasierte und kultivierte Fleischalternativen.

Als europäischer Ableger arbeitet auch das Good Food Institute Europe eng mit Wissenschaft, Wirtschaft und Politik zusammen, um alternative Proteinquellen günstig und verfügbar zu machen. Wir wollten mehr über die Arbeit und das politische Engagement des GFI erfahren und sprachen darüber im Interview mit Ivo Rzegotta, dem Senior Public Affairs Manager Deutschland beim Good Food Institute Europe.

Ivo Rzegotta vom gfi
Ivo Rzegotta © The Good Food Institute (GFI)

Herr Rzegotta, was waren die Highlights beim GFI im vergangenen Jahr?

In Deutschland war das größte Highlight, dass alternative Proteine zum ersten Mal auf der weltgrößten Fleischmesse IFFA in Frankfurt und auf der weltgrößten Seafood-Messe Fish International in Bremen präsent waren und dass zahlreiche Unternehmen aus der etablierten Industrie in den Markt eingestiegen sind. Auf beiden Messen haben wir als GFI etablierten Unternehmen aus der Fleisch- und Fischwirtschaft Einblicke in die Chancen aus alternativen Proteinen geben können — unter anderem mit einem erfolgreichem Vortragsprogramm und stets ausgebuchten Führungen über die Messe.

Im Bereich Forschung haben wir die weltweite Anzahl der Hochschulgruppen in unserer studentischen Initiative The Alt Protein Project mehr als verdoppeln können. In Deutschland ist eine neue Hochschulgruppe in Bayreuth hinzugekommen, die mit einer Vielzahl von Aktivitäten mehr Studierende für alternative Proteine gewinnen will. 

Und mit unserer Cultivated Meat Innovation Challenge, die wir gemeinsam mit EIT Food ins Leben gerufen haben, haben wir viermal 100.000 Euro an Unternehmen und Forschende gegeben, die an Lösungen für kostengünstige, tierfreie Nährmedien arbeiten — darunter auch das deutsche Pharmaunternehmen LenioBio. Das sind nur drei Beispiele aus einer ganzen Reihe von Highlights unserer Arbeit in Deutschland und Europa, die wir über alle Bereiche hinweg im vergangenen Jahr gesehen haben.

cultivated meat innovation challenge
© EIT Food

Was plant ihr für 2023?

Was den weltweiten Sektor für alternative Proteine betrifft, sind eine ganze Reihe von Studien, Reports etc. über das ganze Jahr verteilt geplant und wir werden auch intensiv mit Wissenschaft und Unternehmen zusammenarbeiten. Da will ich nicht zu viel verraten.

Was Deutschland betrifft, werden wir in der zweiten Jahreshälfte eine Analyse speziell für den deutschen Markt für alternative Proteinquellen vorlegen, die den Status quo des deutschen Ökosystems beschreibt und auch politischen Handlungsbedarf benennt, um die Proteinwende in Deutschland voranzubringen.

Wir haben in Deutschland alle Voraussetzungen dafür, um bei dem Thema ins internationale Spitzenfeld aufzurücken: eine exzelltente Wissenschafts- und Innovationslandschaft, innovative Unternehmen jeder Größe und aufgeschlossene Verbraucher. Ein Großteil dieses Potenzials nutzen wir aber noch nicht wirklich. Mit der Analyse wollen wir sehr konkret darlegen, wie sich das durch förderliche politische Rahmenbedingungen ändern lässt.

© The Good Food Institute (GFI)

Wie viele Mitarbeitende habt ihr und wo in der Welt seid ihr überall vertreten?

Das GFI ist in den Ländern und Regionen aktiv, die auf der einen Seite einen überdurchschnittlich hohen Konsum von tierischen Produkten aufweisen, die aber auf der anderen Seite auch einen besonders großen Beitrag zur Wende hin zu nachhaltigen Proteinalternativen leisten können.

Gegenwärtig sind das die USA, Brasilien, Indien, Israel, der asiatisch-pazifische Raum und natürlich auch Europa. Weltweit arbeiten rund 170 Menschen beim GFI in den Bereichen Forschung, Corporate Engagement, Politikberatung und Kommunikation sowie in unterstützenden Bereichen. In Europa sind wir gegenwärtig ein Team von 22 und wollen in diesem Jahr weiter wachsen – insbesondere auch auf nationaler Ebene in einigen Kernmärkten, um der großen sprachlichen und kulturellen Vielfalt in Europa gerecht zu werden.

Was steht 2023 in Deutschland auf der politischen Agenda?

2023 wird ein ganz entscheidendes Jahr für die Frage, ob Deutschland weiter ein Innovationsmotor bei pflanzlichen und kultivierten Proteinen bleibt und ob die deutsche Politik den Anschluss daran findet, was andere Länder auf den Weg gebracht haben.

Länder wie die USA, Kanada, Israel und Singapur haben bereits damit begonnen, in die Forschung an Produkten auf Basis von Pflanzen, Kultivierung und Fermentation zu investieren. China hat kultiviertes Fleisch in seinen 5-Jahres-Plan aufgenommen.

In Europa steigen Länder wie die Niederlande, Norwegen, Spanien, Belgien, Großbritannien und Dänemark in die öffentliche Forschungsförderung in diesem Bereich ein. Deutschland hat bislang eher zurückhaltend agiert und 2023 sollte das Jahr werden, wo sich das ändert. 

bundestag
© Tiberius Gracchus – stock.adobe.com

Wie beurteilt ihr die Arbeit der Bundesregierung zur Förderung alternativer Proteinquellen?

Im Koalitionsvertrag haben sich SPD, Die Grünen und FDP vorgenommen, pflanzliche Alternativen zu stärken und sich für die Zulassung von alternativen Proteinquellen in der EU einzusetzen. Das ist zunächst einmal sehr zu begrüßen, aber nun auch schon mehr als ein Jahr her.

Damit dieses Bekenntnis mit Leben gefüllt werden kann, braucht es nun politische Initiativen, die diese Aussage auch mit konkreten politischen Maßnahmen unterlegen.

Was sollten Regierung und Parlament denn konkret anpacken?

Vieles wird auf der europäischen Ebene entschieden, doch es gibt Bereiche, in denen Bund und Länder den Sektor spürbar voranbringen können.

Erstens sollten Bund und Länder deutlich mehr Geld in die Forschungsförderung in diesem Bereich ausgeben, etwa durch neue Forschungsaufrufe zu alternativen Proteinen oder durch die Errichtung eines spezialisierten Forschungszentrums für alternative Proteine. Die Niederlande, die in etwa die Wirtschaftskraft von Nordrhein-Westfalen haben, haben es in diesem Jahr vorgemacht und mehr als 60 Millionen Euro in das Ökosystem für kultiviertes Fleisch und Fermentation investiert.

Zweitens brauchen unsere heimischen Unternehmen Unterstützung beim Aufbau von Produktionskapazitäten, denn bei der Errichtung von Pilotanlagen stößt die Finanzierung durch Venture Capital an Grenzen.

Drittens sollte die Bundesregierung unsere Unternehmen aktiv bei den regulatorischen Fragen unterstützen, etwa durch mehr Orientierung für Zulassungsverfahren nach der Novel Foods Verordnung und durch klare Leitlinien zur rechtssicheren Durchführung von Tastings.

Und schließlich braucht es faire Wettbewerbsbedingungen für nachhaltige Optionen: Dass in einem deutschen Supermarkt noch immer für Kuhmilch der reduzierte Mehrwertsteuersatz von 7 Prozent anfällt, während für pflanzliche Optionen der volle Satz von 19 Prozent gilt, steht im eklatanten Widerspruch zum Wortlauft des Koalitionsvertrags und zu den selbstgesteckten Zielen im Klima-, Umwelt-, Gesundheits- und Tierschutz.

Herr Rzegotta, wir bedanken uns für das Gespräch.

 

Weitere Informationen zu den angesprochen Themen finden Sie auf www.gfieurope.org/de.

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