Das Rostocker Unternehmen Innocent Meat möchte ein All-Inclusive-Paket für die Kulturfleisch-Branche bereitstellen. Von den Zellen über die Nährlösung bis hin zu den Bioreaktoren sollen die Kunden hier alles erhalten. Erwartet wird, dass ein mit künstlicher Intelligenz ausgestatteter Bioreaktor pro Woche rund eine Tonne kultiviertes Hackfleisch produziert. Das entspricht etwa 30 Schweinen.
Laura Gertenbach, Geschäftsführerin und Mitgründerin von Innocent Meat, spricht mit uns im Interview darüber, wie sie als Landwirtstochter und Fleischhändlerin auf das Thema Kulturfleisch gestoßen ist und warum die Zusammenarbeit mit der Universität Rostock für sie so ein Glücksfall ist.
Die Motive, weshalb sich Menschen für kultiviertes Fleisch interessieren, können ganz unterschiedlich sein. Manche wollen die Tiere schützen, anderen geht es um das Klima und einige sorgen sich um die globale Proteinversorgung. Warum sind Sie ins Kulturfleisch-Geschäft eingestiegen?
Das hat ganz pragmatische Gründe. Ich habe einen Fleischhandel und verkaufe Fleisch von Tieren aus Weidehaltung. Allerdings gibt es hiervon gar nicht so viele Rinder und es ist auch schwierig Mitarbeiter zu finden. Hinzu kommt, dass Mecklenburg-Vorpommern über eine begrenzte Zahl an Schlachthöfen verfügt. Ich bin aber nicht damit einverstanden, dass die Tiere so weit in der Gegend herumgefahren werden. Als ich etwa 2016/2017 zum ersten Mal von Mark Post und der Kulturfleisch-Idee gehört habe, habe ich gedacht, dass das eine Lösung sein könnte.
Und dann haben Sie Innocent Meat gegründet?
Mir war klar, dass ich es nicht alleine machen kann. Es war mir wichtig, Mitstreiter mit einem gleichen Wertesystem zu finden. Es gibt so viele Geschäftspartnerschaften, die scheitern. Meinen Mitgründer Patrick Inomoto habe ich dann durch Zufall gefunden. Er saß eigentlich schon auf gepackten Koffern und war kurz davor, einen neuen Job in Zürich anzutreten. Sein Spezialgebiet ist die gentechnische Veränderung von Pflanzen. Mir zuliebe wollte er sich nur kurz in das Thema einlesen und mir ein wenig helfen. So bin ich zu Patrick gekommen. Als technischer Leiter verantwortet er heute alles, was mit der Produktentwicklung oder mit Neuanstellungen zu tun hat.
Sie beide haben also ganz unterschiedliche berufliche Hintergründe. Wie wirkt sich das auf die Arbeit bei Innocent Meat aus?
Wir profitieren von unseren unterschiedlichen Kompetenzen: Ich habe BWL und Wirtschaftsinformatik studiert und bringe als Geschäftsfrau unter anderem Erfahrungen aus dem Fleischhandel mit. Patrick ist der Wissenschaftler und hat Biochemie und Pflanzenwissenschaften studiert. Zudem war er bei verschiedenen biotechnologischen Unternehmen angestellt. Er hat zuvor beispielsweise eine Antibaby-Pille für Schadnager – dazu gehören unter anderem Ratten, entwickelt.
Wie ging es für Patrick Inomoto und Sie dann weiter?
Das Thema Kulturfleisch war damals noch so neu und leider noch nicht bankenfähig. 2020, als wir unser erstes Investment erhielten, haben wir offiziell gegründet.
Innocent Meat will für seine Kunden eine Art Rundum-Sorglos-Paket bieten. Was enthält es?
Unsere Vision ist eine ganzheitliche Lieferkette für die Produktion von Kulturfleisch. Das reicht von den Stammzellen und den Gerüsten, an denen die Zellen wachsen, über die Nährmedien bis hin zu den Bioreaktoren und den Filtersystemen für die Nährmedien. Unsere Software überwacht und steuert den Produktionsprozess. Gedacht ist unser System für die fleischverarbeitende Industrie, und nicht so sehr für den Metzger von nebenan. Bei den Mitarbeitern der Kundenunternehmen sind keine besonderen Kenntnisse im Bereich Kulturfleisch erforderlich. Ein mit unserer künstlichen Intelligenz (KI) ausgestatteter Bioreaktor benötigt etwa sechs Quadratmeter Platz und produziert pro Woche rund eine Tonne kultiviertes Hackfleisch. Das entspricht etwa 30 Schweinen.
Unabhängig von Ihrem Komplett-System bieten sich separat auch sogenannte rekombinante Proteine an, die unter anderem für kultiviertes Fleisch genutzt werden können. Was hat es damit auf sich?
Zellen, die man kultivieren will, benötigen bestimmte Signalproteine, um sich ausdifferenzieren und wachsen zu können. Diese Proteine gibt es aber nur in Tierkörpern und nicht in Pflanzen. Die Nährlösung für das kultivierte Fleisch soll aber keine weiteren tierischen Bestandteile wie das fötale Kälberserum beinhalten. Wie komme ich also daran? Hierfür kann man Mikroorganismen oder Pflanzen gentechnisch so verändern, dass sie die Proteine produzieren.
Ich weiß, das Wort ,Gentechnik‘ wirkt auf viele abschreckend. Und dennoch werden viele Tiere mit transgenem Futter versorgt. Insulin für Diabetiker wird ebenfalls seit Langem mit gentechnisch veränderten Bakterien und Hefen hergestellt. Auch mikrobielles Lab, das bei der Käseherstellung das tierische Lab aus Kälbermägen ersetzt, wird zumeist mit Hilfe gentechnisch veränderter Mikroorganismen gewonnen. In unserem Fall können wir auf diese Weise die benötigten rekombinanten Proteine aus Pflanzen herstellen. Man kann hierfür unter anderem Erbsen und Gerste verwenden.
Viele Unternehmen, die ins Kulturfleisch-Geschäft einsteigen, beklagen, dass die nötigen Labore Mangelware sind. Kennen Sie dieses Problem?
Wir haben das Glück, dass wir seit 2021 an der Universität Rostock angesiedelt sind. Wir haben dort nicht nur Büroräume angemietet, sondern arbeiten auch gemeinsam an Forschungsprojekten. Durch den uneingeschränkten Zugang zu modernsten Technologien haben wir die Möglichkeit, unserer Mission schnell näherzukommen. Das funktioniert sehr gut und ich bin froh, dass dieser Teil der Uni so offen ist.
Sie selbst sind im Agrarunternehmen ihrer Eltern aufgewachsen. Landwirte stehen der Kulturfleisch-Idee oftmals skeptisch gegenüber. Wie haben Sie das erlebt?
Viele Landwirte, die in der Fleischwirtschaft tätig sind, haben da Existenzängste. Aber ehrlich gesagt, haben sie den Markt ja nicht gemietet und müssen sich, wie jeder andere Unternehmer auch, gegebenenfalls umorientieren. Sie könnten beispielsweise Zulieferer für Substrat werden. Mein Vater ist auch Landwirt und findet die Kulturfleisch-Idee gut. Er kennt die vielen Probleme in der Landwirtschaft und sieht die neue Technologie als Chance an.
Weitere Informationen: innocent-meat.com
Dieses Interview wurde geführt und zur Verfügung gestellt von der Journalistin Susanne van Veenendaal. Im Rahmen eines Buchprojekts über kultiviertes Fleisch, an dem Susanne van Veenendaal gemeinsam mit Christoph Werner und Bastian Huber von cultured-meat.shop arbeitet, spricht sie mit verschiedenen deutschen Unternehmen, Forschern und Initiativen der Branche.