Viele Unternehmen auf der ganzen Welt möchten kultiviertes Fleisch auf den Markt bringen. Bis dies im großen Stil geschehen kann, sind jedoch noch einige Fragen zu klären: Wie lassen sich die Reaktoren eigentlich am besten reinigen, nachdem die Zellen für das kultivierte Fleisch geerntet wurden? Ist es sinnvoll, den Zellen für ihr Wachstum kleine Trägerperlen (Microcarrier) zur Verfügung zu stellen oder nicht? Sollten diese essbar sein? Und wie kann maschinelles Lernen bei der Zellkultivierung helfen?
Mit diesen und anderen Fragen setzen sich die Beschäftigten der Professur für „Cellular Agriculture“ an der Technischen Universität München (TUM) auseinander. Die Professur wurde im September 2022 eingerichtet und wird von Prof. Dr. Marius Henkel geleitet. Zu seinem Team gehört unter anderem die Doktorandin Katharina Brenner.
Im Interview mit uns spricht Brenner darüber, inwiefern Künstliche Intelligenz (KI) helfen kann, die Abläufe rund um die Zellkultivierung zu verbessern, weshalb die Zulassungsprozesse bei der Europäischen Union (EU) beschleunigt werden müssten und warum sie hofft, dass sich auch Menschen aus anderen Fachbereichen künftig mehr mit der zellulären Landwirtschaft beschäftigen.
Frau Brenner, wie sind Sie auf das Thema Kulturfleisch aufmerksam geworden und warum liegt es Ihnen am Herzen?
Ich lebe seit Jahren vegan, weil das Tierleid für mich schon immer ein Thema war. Da war zum einen das Mitgefühl, zum anderen kam ein Bewusstsein für das Thema Nachhaltigkeit hinzu. Mir wurde irgendwann klar, dass dieses System – beispielsweise die Überfischung der Meere – nicht unendlich so weiter gehen kann.
Besonders bewegt hat mich auch eine Veranstaltung der Unternehmensberatung McKinsey. Dort ging es um den CO²-Ausstoß in verschiedenen Bereichen, beispielsweise dem Transportsektor. Es wurde deutlich, wie hoch der CO²-Ausstoß in der Landwirtschaft ist. Zu der Zeit habe ich immer mal wieder etwas über kultiviertes Fleisch gelesen und die Idee hat mich fasziniert.

Bevor Sie zur Professur für Cellular Agriculture gestoßen sind, waren Sie Unternehmerin im Gründungszentrum der TUM, dem TUM Venture Labs. Was genau haben Sie da gemacht?
Ich habe dort ein Start-up gegründet und wollte mit kultivierten Fettzellen vom Rind und vom Schwein Würstchen als Hybridprodukt herstellen, also als Mischung aus kultiviertem Fett und pflanzlichen Zutaten. Aus heutiger Sicht war das naiv, denn so ein Vorhaben ist natürlich teuer und aufwendig. Ich bin dann zum Glück mit Prof. Dr. Marius Henkel in Kontakt gekommen und mache nun meinen Doktor bei der Professur für Cellular Agriculture.
Wo liegen Ihre Arbeitsschwerpunkte?
Bei uns wird an verschieden Studien gearbeitet. Ich selbst bin im Rahmen des Forschungsprogramms FEASTS tätig, das von der Europäischen Union (EU) gefördert wird. Ziel des Programms ist es, eine umfassende, unvoreingenommene Wissensbasis über kultiviertes Fleisch und kultivierte Meeresfrüchte zu erstellen. Die gewonnenen Informationen können unter anderem für die Gremien der EU als Hintergrundmaterial genutzt werden. Vor einigen Monaten haben wir beispielsweise einige Erkenntnisse an die Europäische Kommission gesendet, die sich auf die Zulassung von kultiviertem Fleisch beziehen. Das betreffende Gesetz wird zurzeit gerade überarbeitet.
Hauptsächlich beschäftige ich mich mit Bioreaktor-Design, Skalierbarkeit und dezentraler Produktion. Hierfür arbeite ich beispielsweise mit Forschungseinrichtungen und Start-ups zusammen. Wir von der Professur planen zudem, unsere Ergebnisse in Form eines wissenschaftlichen Journals zu veröffentlichen.
Bioreaktor-Design und Skalierbarkeit – welche Aspekte untersuchen Sie dabei?
Es wird viel über Cultured Meat gesprochen, aber viele Fragen sind noch offen: Wie kann das Fleisch auch industriell hergestellt werden? Wie kann man es skalieren, also im großen Maßstab produzieren? Wir schauen uns die sogenannte Economic Feasibility, sprich die wirtschaftliche Machbarkeit, an. Untersucht wird dabei unter anderem, wie der Herstellungsprozess genau aussehen muss. Da ist so manches noch nicht klar – beispielsweise, wie sich Zellen verhalten, wenn man sie skaliert und im großen Stil kultivieren will. Und wie genau lässt man sie wachsen? Auf Microcarriern, also kleinen Trägerkügelchen? Falls ja: Sollen diese Kügelchen essbar sein oder nicht?

Können Sie noch einmal erklären, warum die kleinen Kügelchen überhaupt bei der Zellkultivierung eingesetzt werden?
Zellen benötigen etwas, auf dem sie wachsen und anhaften können. Ich stelle es mir immer folgendermaßen vor: So wie Kinder ein Zuhause und Bindung brauchen, um groß zu werden, können auch Zellen nur gedeihen, wenn sie Kontakt mit anderen Zellen haben und sich an einer Oberfläche festhalten können.
Um ausreichend Fläche für das Zellwachstum bereitzustellen, ohne dass große räumliche Ressourcen benötigt werden, kommen Microcarrier zum Einsatz. Durch die kleinen Kügelchen können die Zellen nicht nur zwei-, sondern auch dreidimensional wachsen. In der Pharmazie werden zumeist Carrier aus Plastik verwendet. Weil es bei Cultured Meat aber um etwas Essbares geht, müsste zum Beispiel herausgefunden werden, ob im Endprodukt Überbleibsel vom Plastik zu finden sind. In der Herstellung von Cultured Meat werden momentan meist essbare Microcarrier verwendet, welche beispielsweise aus Erbsenproteinen hergestellt werden.
Die Microcarrier sind aber nicht die einzige Möglichkeit, um den Zellen Halt und ein Zuhause zu geben. Auch sogenannte Aggregate, also die Gruppenbildung von einzelnen Zellen, könnten diesem Anspruch gerecht werden. Folgt man dieser Idee, sind hier ebenfalls einige Punkte zu prüfen. Inwiefern bilden die Aggregate im Reaktor beispielsweise neue Aggregate? Und brechen die Zellgruppen irgendwann auf? Fest steht, dass das Wachstum mit Hilfe von Aggregaten nur bis zu einer gewissen Grenze möglich ist. Außer den Fragen rund um das Zellwachstum sind noch weitere Dinge ungeklärt.
Worum geht es da beispielsweise?
Wie macht man die Bioreaktoren, in denen die Zellen wachsen, später eigentlich sauber? Schließlich müssen die Behälter nach der Zellernte für die nächste Kultivierungsrunde steril gemacht werden. Es gibt noch 1000 Fragen wie diese. Wir halten alle Variablen in einem Diagramm fest. Es ist wichtig, dass Unternehmen alles gut durchplanen können, bevor sie an die Arbeit gehen. Denn Fehler sind in diesem Bereich sehr teuer.
Um herauszufinden, wie die Prozesse für die Zellkultivierung am besten gestaltet werden, wollen Sie auch maschinelles Lernen – also eine Form von Künstlicher Intelligenz (KI), nutzen. Wie genau geht das?
Erst einmal muss einem bewusst sein, dass die KI immer nur so schlau ist, wie man sie vorher implementiert beziehungsweise programmiert. Ich möchte das maschinelle Lernen einsetzen, um Teile des Prozesses bei der Herstellung von Cultured Meat zu verbessern. Angenommen, ich habe Zellen in einem 500 Liter großen Bioreaktor kultiviert. Danach könnte ich der KI die gewonnen Daten geben und berechnen lassen, wie man die Kultivierung in einem 2000 Liter großen Behälter angehen müsste – wobei das schon ein sehr großer Reaktor wäre. Ich könnte damit aber auch Zelllinien optimieren oder Proteinstrukturen berechnen.

Das könnte ja aber auch ein Mensch machen…
Das stimmt, aber es wäre nicht so effizient. Ein Ingenieur oder Biotechnologe beispielsweise könnte monatelang daran tüfteln, alle Variablen miteinander zu kombinieren. Er könnte schauen, welche Nährlösung bei welcher Temperatur sich am besten eignet. Er könnte die CO²-Konzentration verändern und ausprobieren, wie schnell die Nährlösung gerührt werden darf – sofern es sich um einen Rührkessel und nicht um eine andere Reaktorart handelt. Dann kann er unter anderem noch damit experimentieren, wie viele Zellen er zu welchem Zeitpunkt in die Lösung gibt.
Entweder ein Mensch macht all dies und verwendet viel Zeit darauf, oder man findet mithilfe der KI verschiedene optimale Bedingungen und Werte heraus, welche dann vom Biotechnologen geprüft werden. Den Ingenieur braucht man trotzdem, aber er kann sich dann mit konkreteren Aufgaben beschäftigen.
Kultiviertes Fleisch, Künstliche Intelligenz – diese Themen rufen bei vielen Menschen Ängste und Unbehagen hervor. Wie reagiert Ihr Umfeld auf Ihre Tätigkeit?
Meine Eltern dachten anfangs, es sei eine ganz komische Phase von mir. Meine Mutter ist Pharmazeutin und hat die Produktion von Fleisch im Labor kritisch gesehen. Aber das Fleisch wird letztendlich ja gar nicht im Labor hergestellt, dort findet nur die Entwicklung des Konzepts statt. Inzwischen stehen meine Eltern der Sache sehr positiv gegenüber.
Ich bin nun seit drei Jahren in dem Bereich tätig und in der Zeit haben sich auch ansonsten die Reaktionen der Leute in Bezug auf das Thema gewandelt. Anfangs gab es gar kein Wissen darüber. Einige Zeit später habe ich ein leichtes Unverständnis und ein Belächeln beobachtet. Mittlerweile haben viele schon einmal von kultiviertem Fleisch gehört und finden es interessant.
Nicht nur mit dem Einsatz von maschinellem Lernen könnten Prozesse in der zellulären Landwirtschaft verbessert werden. Ihre Kollegen arbeiten an ebenso spannenden Themen. Können Sie einen kurzen Überblick geben?
Mein Kollege Laurenz Köhne beispielsweise entwickelt Strategien, wie das Nährmedium der Zellkultur wiederverwendet, also recycelt werden kann. Vor allem bei den sogenannten Perfusionsbioreaktoren, bei denen mehr Medium verbraucht wird, können die Kosten durch ein Recycling verringert werden.
Meine Kollegin Marie Schlieker untersucht hingegen, welcher Bioreaktortyp sich am besten für eine Zellkultivierung eignet. Zu den eben erwähnten Perfusionsreaktoren gehören unter anderem Fließbett- und Hohlfaserbioreaktoren. Es gibt aber auch Rührkessel- und Wellenreaktoren. Für ihre Versuche hat sie kleine Bioreaktoren im Labormaßstab gebaut, an denen sie ihre Tests durchführt. Außerdem erforscht sie, wie Microcarrier am besten in der Lösung schwimmen können.

Es gibt also noch viele Dinge, die genauer erforscht und verbessert werden können. Wenn Sie drei Wünsche in Bezug auf die schnellere Entwicklung von Kulturfleisch frei hätten, wofür würden Sie sich entscheiden?
Mein erster Wunsch würde sich auf die EU-Regulierung beziehen. Ich finde es gut, dass in der Europäischen Union alles gut getestet wird, bevor es auf den Markt kommen kann. In den USA beispielsweise wird dies nicht so streng gehandhabt. Im Falle von kultiviertem Fleisch ist es aber sehr schade, dass sich dadurch viel Forschung insbesondere nach Singapur oder Amerika verlagert. Und auch Venture-Capital-Firmen – sprich Gesellschaften, die sich auf risikobehaftete Beteiligungen an Start-ups spezialisiert haben – investieren ungern in Firmen, wenn deren Produkte in der EU noch gar nicht zugelassen sind. Die Zulassungsprozesse in der EU müssen schneller ablaufen. Dies könnte unter anderem erreicht werden, wenn hierfür mehr Mitarbeiter bei der EU zur Verfügung stünden.
Warum können die Start-ups eigentlich nicht einfach eine Zulassung beantragen und parallel weiter an ihrem Produkt arbeiten? Der Zulassungsprozess könnte doch einfach nebenher laufen…
Stellen wir uns den Geschäftsführer eines Unternehmens vor, der von Investoren 30 Millionen Euro eingesammelt hat. Dieses Geld benötigt er, um mit seinen Mitarbeitern sein Produkt entwickeln zu können. Der Prozess der Zulassung würde ihn aber zusätzlich Millionen Euro kosten. Denn hierfür müssen bestimmte Studien durchgeführt werden, welche bei der Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) für eine Zulassung im europäischen Markt nachgewiesen werden müssen. Das heißt, dieser Geschäftsführer hat zwei Prozesse parallel laufen, was extrem teuer ist. Außerdem spielen die Investoren dabei ebenfalls nicht mit, da die Zulassung mit Unsicherheit verbunden ist und diese Prozesse länger dauern als die Investmentzyklen, die im Bereich des Venture Capitals üblich sind.
Hier wäre es zum Beispiel hilfreich, wenn die Forschung an staatlichen Institutionen passiert, damit hierfür bei den Start-ups kein Fördergeld beziehungsweise Fremdkapital hineinfließen muss. Als Zweites würde ich mir von der Fee wünschen, dass sich mehr Leute aus unterschiedlichen Bereichen mit dem Thema zelluläre Landwirtschaft beschäftigen.
Warum ist das wichtig?
Mal angenommen, wir haben irgendwann alle Prozesse rund um kultiviertes Fleisch erforscht und es kommt auf den Markt. Wenn es dann aber keiner isst, dann haben wir ein Problem. Man muss also positive Vorarbeit in der Bevölkerung leisten, damit das Produkt objektiv betrachtet wird. Hierfür brauchen wir unter anderem Öffentlichkeitsarbeit. Dieses ganze Feld dürfte auch für Menschen aus dem Marketing interessant sein. Man könnte vielleicht auch Ethiker zu Wort kommen lassen. Es müssten auch Leute dabei sein, die sich mit BWL auskennen.
Oftmals geht es ja um die Frage: Wie baue ich ein Unternehmen auf? Auch Juristen und Informatiker fehlen. Im Moment sind insbesondere Personen damit befasst, die aus dem Tissue Engineering, also der Gewebezüchtung, kommen – beispielsweise Molekularbiologen und Biotechnologen.
Mein dritter Wunsch an die Fee schließt sich hieran an: Es müsste mehr Kollaboration, also Zusammenarbeit unter den Personen aus den verschiedenen Disziplinen stattfinden. Auch dadurch schaffen wir insgesamt mehr Akzeptanz für kultiviertes Fleisch.
Um die zelluläre Landwirtschaft mehr ins öffentliche Licht zu rücken und Menschen aus verschiedenen Fachrichtungen zusammenzubringen, haben Sie den Verein „Future Foods“ gegründet. Was kann man sich darunter vorstellen?
Bei Future Foods e.V. setzen wir auf innovative Technologien, um Nachhaltigkeit voranzutreiben und zentrale globale Herausforderungen im Lebensmittelsektor zu lösen, wie beispielsweise kultiviertes Fleisch, Präzisionsfermentation und maschinelles Lernen. Wir veranstalten unter anderem Vorträge, Workshops und Hackathons. Bei Letzterem werden verschiedene Teams gebildet, die alle ungefähr eine Woche lang in Form eines spielerischen Wettstreits an einer echten Fragestellung aus der Wirtschaft arbeiten und nach einer Lösung suchen.
Mein Ziel ist es auch, Forschung und Unternehmen miteinander zu verbinden. Dadurch befähigen wir die nächste Generation, zukunftsweisende Lösungen im Bereich alternativer Proteine und moderner Lebensmitteltechnologien zu entwickeln. Gemeinsam mit Experten und Expertinnen aus Biotechnologie, Lebensmitteltechnik, Informatik, Jura, BWL und weiteren Fachrichtungen haben wir eine interdisziplinäre Plattform geschaffen, die nachhaltige Innovationen vorantreibt und echten Wandel ermöglicht. Unser Sitz ist an der Technischen Universität München. Wer interessiert ist, kann uns gerne einmal besuchen kommen.
Frau Brenner, wir bedanken uns für das Gespräch.
Dieses Interview wurde geführt und zur Verfügung gestellt von der Journalistin Susanne van Veenendaal. Im Rahmen eines Buchprojekts über kultiviertes Fleisch, das den Titel „Die neue Fleischkultur – Warum Cultured Meat gut für Tier, Mensch und Umwelt sein kann“ tragen wird, an dem Susanne van Veenendaal gemeinsam mit Christoph Werner und Bastian Huber von cultured-meat.shop arbeitet, spricht sie mit verschiedenen deutschen Unternehmen, Forschern und Initiativen der Branche.