Politik & Gesellschaft

Wissenschaftlicher Beirat des BMLEH empfiehlt politische Unterstützung von alternativen Proteinen 

Der Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz beim Bundesministerium für Landwirtschaft, Ernährung und Heimat übergab am heutigen Dienstag sein Gutachten zu pflanzenbasierten und biotechnologischen Alternativprodukten an Bundesminister Alois Rainer.

Gutachten betont die Rolle pflanzenbasierter Lebensmittel und anderer alternativer Proteinquellen als Teil eines nachhaltigen Ernährungssystems

Das Gutachten mit dem Titel „Mehr Auswahl am gemeinsamen Tisch: Alternativprodukte zu tierischen Lebensmitteln als Beitrag zu einer nachhaltigeren Ernährung“ betont die Rolle pflanzenbasierter Lebensmittel und anderer alternativer Proteinquellen als Teil eines nachhaltigen Ernährungssystems. Im Gutachten sprechen sich die Mitglieder des Beirats für einen ideologiefreien Diskurs aus, in dem pflanzliche, fermentationsbasierte und kultivierte Alternativprodukte genauso einen Platz auf dem „gemeinsamen Tisch” haben, wie pflanzliche Vollwertkost und herkömmliche tierische Produkte.  

Wbae übergabe bm rainer spiller bei bmleh
WBAE Übergabe © BMLEH

Beirat spricht sich für eine aktive, strategisch ausgerichtete Förderung des Sektors aus

Der Beirat spricht sich zudem für eine aktive, strategisch ausgerichtete Förderung des Sektors aus und wendet sich gegen Maßnahmen, die den Sektor behindern könnten: 

  • Forschungsförderung: Das Gutachten betont, dass Alternativprodukte auf Basis von Pflanzen, modernen Fermentationsverfahren und der Zellkultivierung noch in einem frühen Entwicklungsstadium sind. Es brauche mehr öffentliche Innovationsförderung, um das volle Potenzial dieser Technologien zu heben. Um ein innovatives Forschungs- und Entwicklungsfeld für alternative Proteine zu schaffen, empfiehlt der Beirat unter anderem, ein langfristiges Zielbild für die Forschung in Deutschland zu formulieren (z.B. eine Technologie-Roadmap), die Grundlagenforschung zu stärken und die Vernetzung der Akteure in einem gemeinsamen Research Hub voranzubringen.
  • Regulierung: Das Gutachten unterstreicht, dass der Zulassungsprozess für neuartige Lebensmittel in der EU (zum Beispiel fermentativ hergestellter tierfreier Käse), grundsätzlich gut geeignet ist, um Innovationskraft und hohe Sicherheitsstandards miteinander in Einklang zu bringen. Die lange Dauer und hohen Kosten können jedoch ein Innovationshemmnis darstellen. Daher empfehlen die Gutachter unter anderem, Unternehmen bei der Erstellung von Zulassungsanträgen stärker zu unterstützen, rechtssichere Verkostungsmöglichkeiten für neuartige Lebensmittel zu schaffen (wie zum Beispiel in den Niederlanden) sowie die konkrete Umsetzung des europäischen Zulassungsverfahrens kontinuierlich zu beobachten und zu evaluieren.
  • Fairer Wettbewerb: Das Gutachten weist darauf hin, dass es historisch gewachsene Benachteiligungen von Alternativprodukten gegenüber ihren tierischen Pendants gibt, unter anderem die steuerliche Benachteiligung pflanzlicher Milch bei der Mehrwertsteuer. Die Gutachter sprechen sich dafür aus, diese strukturelle Benachteiligung durch eine Angleichung des Mehrwertsteuersatzes zu beenden, so wie es gegenwärtig auch von einer Petition wichtiger Player im deutschen Markt gefordert wird. 
  • Evidenzbasierte Diskussion zu Gesundheitseffekten: Das Gutachten empfiehlt, die Debatte um den Verarbeitungsgrad von Alternativprodukten zu versachlichen. Die weit verbreitete Wahrnehmung pflanzenbasierter Optionen als hochverarbeitete Lebensmittel beruhe auf vereinfachenden Klassifikationen wie dem NOVA-Score und lasse außen vor, dass viele dieser Produkte positive ernährungsphysiologische Eigenschaften haben. Es brauche eine differenzierte Betrachtung der Lebensmittel anhand ihrer spezifischen inhaltlichen Zusammensetzung.

Maßnahmen zahlen auf Ziele im Koalitionsvertrag ein

Diese und weitere im Gutachten formulierte Maßnahmen könnten auf das im Koalitionsvertrag formulierte Ziel einzahlen, die Entwicklung und Markteinführung nachhaltiger alternativer Proteine zu fördern. Neben dem Potenzial für Nachhaltigkeit und Gesundheit, das in dem Gutachten vermessen wird, bieten alternative Proteinquellen auch enorme wirtschaftliche Chancen für den Industriestandort Deutschland. 

Wbae uebergabe bm rainer quelle bmleh
WBAE Übergabe / Bundesminister Rainer © BMLEH

Bundesminister Rainer: „Das neue Gutachten zeigt, welche Rolle Alternativprodukte spielen können“

Der Bundesminister für Landwirtschaft, Ernährung und Heimat, Alois Rainer, dankte allen Mitgliedern des Beirats für ihr Engagement und fügte hinzu: „Ziel der Bundesregierung ist es, vielseitiges und ausgewogenes Essen zu stärken, ohne den Konsumenten Vorgaben zu machen. Verbraucher sollen nach ihren Präferenzen entscheiden können und jeweils ein gutes Angebot vorfinden. Dabei werden wir die Verbraucher durch Information und klare Kennzeichnung unterstützen. Das neue Gutachten zeigt, welche Rolle Alternativprodukte spielen können. Mir ist wichtig, das eine nicht gegen das andere auszuspielen. Im Koalitionsvertrag haben wir unter anderem bereits vereinbart, den heimischen Anbau von Eiweißpflanzen sowie die Entwicklung und Markteinführung nachhaltiger alternativer Proteine zu stärken. Wir wollen unsere Land- und Ernährungswirtschaft für diesen wachsenden Markt gut aufstellen und eine EU-Proteinstrategie unterstützen.“ 

Wbae übergabe britta renner
WBAE Übergabe Britta Renner © BMLEH

WBAE: „Wir sehen eine zunehmende Diversifizierung der Ernährungsstile in der Bevölkerung“

„Wir sehen eine zunehmende Diversifizierung der Ernährungsstile in der Bevölkerung – von überzeugten Fleischliebhabern, klassischen Fleischkonsumentinnen, Personen, die ihren Fleischkonsum aus verschiedenen Gründen reduzieren möchten, Vegetarierinnen bis hin zu Veganern“, betont Prof. Dr. Britta Renner, Universität Konstanz und stellvertretende Vorsitzende des WBAE. „Diese Vielfalt eröffnet neue individuelle Spielräume – stellt uns aber auch vor Herausforderungen im sozialen Miteinander und im Hinblick auf einen ‚gemeinsamen Tisch‘. Die von uns entwickelte 3-R-Strategie – Reduce (z. B. kleinere Fleischportionen), Remix (Hybridprodukte), Replace (innovative Alternativen) – zeigt, wie vielfältig, flexibel und alltagstauglich ein reduzierter Konsum tierischer Lebensmittel aussehen kann.“ Alternativprodukte bieten neue Wahlmöglichkeiten für Menschen, die sich aus ethischen, ökologischen oder gesundheitlichen Gründen anders ernähren wollen. Die breite Mehrheit betrachtet Alternativprodukte sehr offen und unideologisch. „Auch die Politik sollte bei diesem Thema die Erweiterung der Möglichkeiten und das soziale Miteinander in den Mittelpunkt stellen“, so Britta Renner. „Beim Thema Alternativprodukte geht es darum, einen Beitrag zum Klima- und Ressourcenschutz zu leisten und den weltweit erwarteten Anstieg der Nachfrage nach tierischen Lebensmitteln abzufedern – nicht um eine Abschaffung der Nutztierhaltung”, erläutert Prof. Dr. Kay-Uwe Götz, Co-Leiter der Arbeitsgruppe.

GFI Europe begrüßt das vorgelegte Gutachten: „Maßnahmen bestens geeignet, um Deutschlands Rolle als Innovationsmotor zu stärken“

Der gemeinnützige Think Tank Good Food Institute Europe begrüßt, dass der Beirat die Rolle von Alternativprodukten als niedrigschwellige Angebote für Verbraucherinnen und Verbraucher hervorhebt, die ihre Ernährung ändern oder um neue nachhaltige Optionen ergänzen wollen. GFI Europe hält die vorgeschlagenen Maßnahmen für sehr geeignet, um zentrale Barrieren auf dem Weg zur Marktreife dieser neuen Lebensmittel zu beseitigen, vor allem in den Bereichen Innovationsförderung, verlässliche und effiziente Regulierung und fairer Wettbewerb. 

Iffa ivo rzegotta headshot with jacket 002
Ivo Rzegotta, Senior Policy Manager Deutschland, Good Food Institute Europe © GFI

Ivo Rzegotta, Senior Public Affairs Manager bei GFI Europe: „Die neue Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt, die Entwicklung und Markteinführung nachhaltiger alternativer Proteine zu fördern. Mit dem heute vorgelegten Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats liegt nun eine Blaupause vor, wie sich das in konkrete politische Maßnahmen übersetzen lässt. Die Vorschläge zur Stärkung der Innovationsfähigkeit, zu einer transparenten und effizienten Regulierung und zur Sicherstellung eines fairen Wettbewerbs sind bestens geeignet, um Deutschlands Rolle als Innovationsmotor in diesem Bereich zu stärken und um das enorme Potenzial von alternativen Proteinen für den Klima- und Umweltschutz und für eine gesunde Ernährung zu heben. Daher sollte die Bundesregierung diese Vorschläge nun aufgreifen und zu einem wesentlichen Teil ihrer politischen Agenda machen, zum Beispiel im Hinblick auf die angekündigte Proteinstrategie oder die im Koalitionsvertrag verankerte Hightech-Strategie.” 

ProVeg unterstützt die Empfehlung des WBAE und fordert Differenzierung bei der Debatte um den Verarbeitungsgrad von Lebensmitteln

„Pflanzliche Alternativen erleichtern die persönliche Umstellung im Alltag. Sie bieten eine niedrigschwellige Brücke hin zu einer pflanzenbetonteren Ernährung, die Vorteile für die eigene Gesundheit und das Klima hat“, kommentiert Simon Handschuh, Referent für Politik bei ProVeg Deutschland.

Ebenso wie der WBAE rät ProVeg bei der Debatte um den Verarbeitungsgrad von Lebensmitteln zur Differenzierung. So ist nicht der Verarbeitungsgrad ausschlaggebend für den gesundheitlichen Mehrwert eines Produkts, sondern vielmehr dessen Nährstoffgehalt. Der Nutri-Score kann Verbrauchern hier als nützliche Orientierung dienen und schafft Transparenz.

Die Ernährungsorganisation begrüßt zudem die Empfehlung des Wissenschaftlichen Beirats zur Weiterentwicklung des Chancenprogramms Höfe (CPH) und zur Ausweitung auf die gesamte Wertschöpfungskette. Das CPH sieht die gezielte Unterstützung landwirtschaftlicher Betriebe vor, die in Zukunft vermehrt auf die Produktion und Verarbeitung alternativer Proteinquellen setzen wollen. Für die Landwirtschaft kann die Proteindiversifizierung zusätzliche Einkommensquellen und ein weiteres Standbein bieten.

„Alternative Proteine nehmen in der Erweiterung des Protein-Angebots eine Schlüsselrolle ein, da sie an die Ernährungsgewohnheiten der Menschen anknüpfen. Sie schaffen zusätzliche Auswahl und bringen alle an einen Tisch“, erklärt Simon Handschuh.

© balpro e. V. © balpro e. V.
© Valentin Pellio / BALPro e. V.

BALPro sieht sich durch Empfehlungen des Wissenschaftlichen Beirats des BMLEH in seinen Zielen gestärkt

„Die Politik ist für den Ausbau des Standorts im Bereich Alternative Proteine entscheidend. Eine steuerliche Gleichbehandlung von Produkten einer ähnlichen Lebensmittelkategorie ist dabei nur ein Gebot für unseren Erfolg. Wenn Europa, wie bei der Life-Science-Strategie der EU-Kommission vorgesehen, zum führenden Standort für Biowissenschaften werden will, müssen wir auch in Deutschland die nötigen wirtschaftlichen Grundlagen schaffen. Dazu zählt auch, mehr öffentliche Gelder in Forschung und Entwicklung zu stecken und effiziente, beschleunigte sowie international anschlussfähige Zulassungsverfahren zu etablieren. Dann ist unsere Chance groß, eine führende Rolle innerhalb der EU einzunehmen und damit langfristig auch global. Die Infrastruktur ist da. Die klugen Köpfe, die weltweit einzigartige Ansätze verfolgen, sind da. Helfen wir ihnen durch eine zielgerichtete Innovationspolitik dabei, ihre Ziele umzusetzen und die Lebensmittelsicherheit am Standort zu festigen.“, kommentiert Fabio Ziemßen, Vorstandsvorsitzender des Bundesverbands für Alternative Proteinquellen.

Teilen

Newsletter

Entscheidendes für Entscheider: Erhalten Sie regelmäßig die wichtigsten News aus der veganen Wirtschaft per E-Mail!

Kostenlos Abonnieren!

Börsennotierte Unternehmen

Hier finden Sie eine Liste von über 80 börsennotierten Unternehmen, über die wir in der Vergangenheit berichtet haben. Mit direkten Links, um alle Artikel zu den einzelnen Unternehmen zu lesen.