Interviews

Im Interview mit Renato Pichler: „Dank Swissveg ist die Schweiz eines der wenigen Länder, in denen die Begriffe „vegetarisch“ und „vegan“ schon seit Jahren gesetzlich definiert sind“

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Renato Pichler, Präsident und Geschäftsführer von Swissveg © Swissveg

Renato Pichler ist Gründungsmitglied, Präsident und Geschäftsführer von Swissveg, der größten Interessenvertretung vegetarisch und vegan lebender Menschen in der Schweiz. Seit 1993 ist er hauptberuflich für den Verein tätig und pflegt hier unter anderem die internationalen Kooperationen. Pichler ist außerdem Initiator des V-Label-Projektes in der Schweiz und damit ein echter Pionier, was die Kennzeichnung veganer und vegetarischer Produkte in Europa betrifft.

Mit seinem über die Jahre angesammelten, umfangreichen Wissen ist Renato Pichler ein ausgewiesener Experte der veganen Branche. Wir haben mit ihm über Erfolge und Ziele von Swissveg sowie über den Status der veganen Bewegung in der Schweiz gesprochen.

Herr Pichler, wer ist Swissveg und wofür steht die Organisation?

Seit 1993 setzt sich Swissveg als politisch und konfessionell unabhängige Organisation mit positiver Öffentlichkeitsarbeit dafür ein, den Fleischkonsum dauerhaft zu senken und eine pflanzenbasierte, verantwortungsbewusste Lebensweise als attraktive und gesunde Alternative allen Menschen zugänglich zu machen und zu fördern.

Wer sind die Mitglieder, bzw. wer kann Mitglied werden?

Als Mitglieder sind alle willkommen, die unsere Ziele teilen. Wir haben Mitglieder in allen Alterskategorien. Bei den Mitgliedern sind wir genauso breit aufgestellt, wie bei unseren Anliegen: Von Tierrechtlern über Umweltschützern bis zu gesundheitsbewussten Menschen, bieten wir eine Plattform für alle, die finden, dass die vegane Bewegung auch in der Schweiz eine starke „Lobby“ benötigt.

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© Swissveg

Auf welche Erfolge blicken Sie / blickt ihr gerne zurück?

Dank Swissveg ist die Schweiz eins der wenigen Länder, in denen die Begriffe „vegetarisch“ und „vegan“ schon seit Jahren gesetzlich definiert sind. 2019 und 2020 konnte ich dann auch bei der ISO-Definition dieser Begriffe mitwirken. Dadurch gibt es nun auch eine offizielle, internationale Definition von vegetarisch und vegan.

Auf politischer Ebene konnten wir unter anderem erreichen, dass die Obergrenze für Vitamin-B12-Produkte aufgehoben wurde. Diese Obergrenze war medizinisch nicht haltbar und erschwerte den Import von Produkten, die ansonsten in der ganzen EU zugelassen waren.

Zu dieser Arbeit im Hintergrund haben wir aber auch noch die ersten veganen Straßenfeste organisiert (ab 2012) als die vegane Lebensweise noch nicht so verbreitet war, um diese der Bevölkerung auf positive Art näher zu bringen. Heute sind wir Hauptpartner bei den größten veganen Events in der Schweiz (Vegan-Festivals, Vegan-Messen inkl. Veggie-World).

Ein sehr erfolgreiches und wichtiges Projekt ist nach wie vor unser V-Label. Wir haben dieses internationale Projekt 1996 gestartet. Heute ist es in allen europäischen Ländern – und auch außerhalb Europas – präsent und erleichtert die vegetarische und vegane Lebensweise. 2021 wurde es bei einer Umfrage der Werbeagentur Havas zu einer der trendigsten Marken der Schweiz gewählt (Platz 9 von 489 Labels). Alle größeren Supermarktketten setzen heute bei ihren Lebensmitteln auf die klare Deklaration mit unserem V-Label. Die überwiegende Mehrheit der Schweizer Bevölkerung kennt dieses Label. Damit haben wir vegetarische und vegane Produkte aus einer Nische zum Mainstream gebracht: Jede größere Supermarktkette der Schweiz nutzt heute dieses Label zur klaren Deklaration ihrer vegetarischen und veganen Produkte.

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© Proveg

Welche Aktionen oder Projekte plant ihr für 2023? Was sind die wichtigsten Ziele der Organisation?

In der Wirtschaft hat sich in den letzten Jahren vieles getan. Wir konnten die Einführung von vegetarischen/veganen Produktlinien begleiten und sehen, wie diese sich immer mehr etablieren. Die Politik hinkt hier jedoch stark hinterher. Deshalb haben wir letztes Jahr die Kampagne „Widersprüche der Schweizer Politik“ durchgeführt. Dabei haben wir aufgezeigt, wie widersprüchlich die Politik beim Thema Ernährung vorgeht. Zum Beispiel wird die Fleischwerbung mit Steuergeldern mitfinanziert, obwohl der Staat selbst der Meinung ist, dass dreimal mehr Fleisch gegessen wird als gesund wäre.

Dieses Jahr werden wir daran anknüpfen und sind an der Erarbeitung einer eidgenössischen Volksinitiative wesentlich beteiligt. Sie soll zumindest einen Teil dieser Missstände in der Politik korrigieren.

Außerdem werden wir mit einer Zukunftsveranstaltung unser 30-jähriges Bestehen feiern.

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© sezerozger – stock.adobe.com

Wie schätzen Sie die Lage der veganen Bewegung in der Schweiz ein? Welche Entwicklungen sprechen für einen positiven Wandel und welche Herausforderungen gibt es?

Die letzten Jahre haben viele Veränderungen gebracht: Seit nicht nur kleine Start-Ups sich für vegane Produkte interessieren, sondern auch alle größeren Konzerne (Nestlé machte 2022 einen Umsatz von 800 Mio. EUR mit Fleischalternativen) und alle Supermarktketten eine eigene Vegi-Linie haben, hat sich auch die Aufgabe der veganen Szene gewandelt. Heute sind auch größere Firmen sehr an der veganen Bewegung und einer Kooperation interessiert.

Und selbst die Umwelt- und Artenschutzorganisationen, die sich früher noch sehr schwer mit dem Thema Fleischkonsum taten, haben das Thema nun auch für sich entdeckt.

Dennoch gibt es noch immer einzelne Bereiche, wo sich die Bewegung schwer tut Fuß zu fassen. Die Schweizer Gastronomie hat noch lange nicht überall auf den Trend reagiert. Es ist an vielen Orten weiterhin schwer – insbesondere auf dem Land – gut vegan zu essen.

Und wie oben schon erwähnt, gibt es im Bereich der Politik noch viel zu tun. Noch immer werden über 80% der Landwirtschaftssubventionen für die Produktion tierischer Nahrungsmittel ausgegeben. Dies hat sich seit 2007, als wir zum ersten Mal die Subventionen analysierten, kaum geändert. Deshalb sehen sich viele Landwirte gezwungen – aus finanziellen Gründen – weiterhin tierische Nahrungsmittel zu produzieren. Da die Schweizer Bauern hauptsächlich von Steuergeldern leben (statt von den Produkten, die sie verkaufen), ist es schwierig, sie für den veganen Wandel zu begeistern, so lange die Politik bremst. Dennoch sieht man auch in diesem Bereich vermehrt Landwirte, die aus diesem System ausbrechen und nur noch gesunde pflanzliche Lebensmittel produzieren wollen.

Es ist ein großer Vorteil, dass nun aus verschiedensten Bereichen die vegane Bewegung Unterstützung erhält. Jede Organisation hat ihren Ansatz und erreicht einen Teil der Bevölkerung. So ergänzen sie sich gut. Gleichzeitig ist es aber auch wichtig, bei bestimmten Projekten zu kooperieren. Hier sehe ich noch ein großes Potential, aber auch eine positive Tendenz.

Die Schweiz ist ein sehr stabiles, eher konservatives Land. Veränderungen benötigen hier meist etwas mehr Zeit als in anderen Ländern. Wenn sie aber einmal umgesetzt sind, ist die neue Situation dafür auch wieder sehr stabil. Deshalb braucht es Geduld.

© Proveg

Wo können Interessierte euch 2023 persönlich treffen?

Wie oben schon erwähnt trifft man uns an den meisten größeren veganen Events.

Im März sind wir an der VeggieWorld in Zürich-Oerlikon anzutreffen, danach haben wir unsere jährliche Mitgliederversammlung in Winterthur und Anfang Juni ist das Vegan Festival direkt im Hauptbahnhof in Zürich. Um über alle Events auf dem laufenden zu bleiben und nichts zu verpassen ist es am Einfachsten, wenn man unseren Newsletter abonniert: www.swissveg.ch/newsletter.

Für einen intensiveren Austausch zu konkreten Projekten stehen wir aber auch in unseren Büroräumlichkeiten in Winterthur (nach Voranmeldung) persönlich zur Verfügung

Herr Pichler, wir bedanken uns für das Gespräch.

 

Weitere Informationen zu Swissveg und V-Label finden Sie unter www.swissveg.ch und https://www.v-label.com/.

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