Interviews

Im Interview mit Bluu Seafood: „Die Technologie, die hinter der zellulären Landwirtschaft steckt, ist für viele Verbraucher noch zu abstrakt. Wir müssen die Leute mitnehmen.“

Das Unternehmen Bluu Seafood ist auf kultivierten Fisch spezialisiert. Aus den Zellen von Atlantischem Lachs und Regenbogenforelle wurden schon Fischstäbchen, Fischbällchen und Kaviar hergestellt. Das Startup ist aus der Lübecker Fraunhofer-Einrichtung für Marine Biotechnologie und Zelltechnik (EMB) hervorgegangen, wo auch der Mitgründer Dr. Sebastian Rakers jahrelang beschäftigt war. Gemeinsam mit dem Unternehmer Simon Fabich rief der Zell- und Meeresbiologe Bluu Seafood (damals noch Bluu Biosciences) ins Leben. Seit 2024 wird in Hamburg eine Pilotanlage betrieben. In Singapur und den USA hat Bluu Seafood die Zulassung für seine Produkte beantragt.

Dr. Cornelius Lahme, bei Bluu Seafood für Marketing und Kommunikation zuständig, spricht mit uns im Interview darüber, warum gerade die Kultivierung von Fisch so wichtig ist, wie genau die Arbeitsteilung bei Bluu Seafood aussieht und was so manche Lobbyarbeit gegen Kulturfleisch mit Linsensuppe zu tun hat.

Herr Lahme, warum halten Sie die Kultivierung von Fischprodukten für wichtig?

Manche Tiere haben eine Lobby, andere nicht. Bei Fischen hält sich das Mitgefühl der Menschen in Grenzen. Oder wie ist es sonst zu erklären, dass die Menschen es beispielsweise toll finden, Kutter auf dem Meer zu fotografieren, die gerade ihre Netze mit Fisch einholen. Bei einem Laster voller Schweine oder Hühner, die zum Schlachthof gebracht werden, würde doch niemand auf die Idee kommen, ein Foto zu machen. Der Mensch täte gut daran, sich einmal Gedanken über die Meere und ihre Bewohner zu machen.

Dr. Cornelius Lahme
Dr. Cornelius Lahme © BLUU GmbH

Ist das der Grund, weshalb Sie zu Bluu Seafood gestoßen sind?

Ja, ich finde es wichtig, etwas gegen die Überfischung und die Verschmutzung der Ozeane zu tun. Und die Technologie hinter der Zellkultivierung ist fast zu gut, um wahr zu sein: Der Geschmack bleibt erhalten, Tierleid wird vermieden und die Umwelt geschont.

Über Medienberichte bin ich auf Bluu Seafood aufmerksam geworden. Hier geht es tatsächlich nicht nur darum, Geld zu verdienen, sondern auch darum, einen gesellschaftlichen Mehrwert zu liefern. Dieser so genannten Social Impact ist mir wichtig.

Worin sehen Sie Ihre Aufgabe bei Bluu Seafood?

Ich möchte einen Beitrag dazu leisten, eine Art Willkommenskultur für alternative Proteine zu schaffen. Denn die Technologie, die hinter der zellulären Landwirtschaft steckt, ist für viele Verbraucher noch zu abstrakt. Wir müssen die Leute mitnehmen.

„Wir“, das sind bei Bluu Seafood 33 Mitarbeiter aus 13 verschiedenen Nationen. Gegründet wurde Ihr Startup in Lübeck, mittlerweile sitzt das Unternehmen in den Räumen der alten Marzipanfabrik in Hamburg-Altona. Warum der Umzug?

Hamburg hat sich als Standort angeboten, weil das Setting hervorragend ist. Im Herbst 2023 wurde beispielsweise ein neues Wirtschaftscluster rund um den Bereich Lebensmittel beschlossen. Dieses Hamburger Food Cluster soll als Netzwerk die Ernährungsbranche gezielt unterstützen. Außerdem ist die Stadt wie unser Unternehmen international orientiert. Abgesehen davon ist die Nähe zu Lübeck, wo viele Mitarbeiter von Bluu Seafood bereits Fuß gefasst haben, ebenfalls vorteilhaft.

Bluu Seafood team
Das Bluu Seafood Team © BLUU GmbH

Wie genau sieht die Arbeit bei Bluu Seafood aus?

Gearbeitet wird in vier Forschungsteams. Das erste Team ist dafür zuständig, Zelllinien anzulegen. Dafür müssen im ersten Schritt einem Fisch Zellproben entnommen werden. Bluu Seafood hat sich auf Atlantischen Lachs und Regenbogenforelle spezialisiert. Sind die besten Zellen aus der Probe ausgewählt worden, gilt es, hieraus immortalisierte, das heißt unsterbliche, Zelllinien zu erschaffen. Bei Bluu Seafood geschieht dies ohne Gentechnik.

Wie geht es dann weiter?

Nun kommt das zweite Team ins Spiel. Es kümmert sich um das Nährmedium, in dem die Zellen wachsen. Die Flüssigkeit soll keine weiteren tierischen Bestandteile enthalten – also ohne fetales Kälberserum auskommen – und gleichzeitig möglichst günstig sein.

Und wer ist für die eigentliche Kultivierung zuständig?

Das dritte Team sorgt dafür, dass sich die Zellen in einem großen Behältnis, dem so genannten Fermenter, gut vermehren. Die Besonderheit bei Bluu Seafood ist, dass keine Microcarrier genutzt werden. Bei diesen Carriern handelt sich um kleine kugelförmige Materialien, beispielsweise Trägerperlen, an denen sich die Zellen festhalten können. Zellen wachsen in der Regel nämlich am liebsten auf Oberflächen. Belässt man es dabei, würde dieses zweidimensionale Wachstum riesige Flächen erfordern. Wer Zellkultivierung betreiben will, muss also beizeiten eine dritte Dimension einführen: Genau hierfür werden die Microcarrier eingesetzt.

Bluu Seafood
© BLUU GmbH / Anna Brauns

Warum werden die Microcarrier bei Ihnen nicht genutzt?

Das Problem ist, dass diese Kügelchen vor der Weiterverarbeitung der Zellen wieder entfernt werden müssen. Das kostet Zeit und Geld. Bei Bluu Seafood hat man eine Methode gefunden, wie die Zellen ohne Hilfe in der Nährlösung klarkommen. Wir haben die Zellen sozusagen trainiert und motiviert, dass sie von alleine in die dritte Dimension gehen. Und das ist gar nicht so einfach, schließlich wird die Nährflüssigkeit fortwährend bewegt. Die Zellen müssen die so genannten Scherkräfte nicht nur überleben, sondern auch noch weiterwachsen.

Wie läuft die Zell-Ernte ab?

Haben sich die Zellen ausreichend geteilt und vermehrt, wird der Inhalt zentrifugiert und die Biomasse abgeschöpft. Weil wir uns noch in der Pilotphase befinden, wird aktuell mit Tanks gearbeitet, die rund 50 bis 500 Liter fassen. Später, wenn im großen Stil produziert wird, werden wohl eher größere Fermenter zum Einsatz kommen, mit denen man auf ein Gesamtvolumen von Hunderttausenden, wenn nicht gar Millionen Litern kommen kann. Die größten Fermenter für tierische Zellen fassen derzeit maximal 25.000 Liter.

Wie wird aus der Zellmasse dann etwas Essbares?

Team vier macht aus dem Ganzen ein Lebensmittel. Es hat die Aufgabe, die Zellmasse mit pflanzlichen Proteinen – zum Beispiel Soja – zu vermengen und daraus ein Hybridprodukt herzustellen. Auf diese Weise wurden bei Bluu Seafood schon Fischstäbchen, Fischbällchen und Kaviar entwickelt.

Bluu Seafood
© BLUU GmbH

Warum sollten Verbraucher zu diesen neuartigen Lebensmitteln greifen?

Unter dem Strich schmecken die Produkte genauso gut wie herkömmliche Meeresfrüchte. Der Vorteil ist aber, dass es keine negativen Auswirkungen auf die Ozeane gibt. Außerdem ist kultivierter Fisch im Gegensatz zu gefangenem Fisch frei von Mikroplastik und frei von Schwermetallen, da wir jeden Prozessschritt genau überwachen. Fisch eignet sich deshalb meiner Meinung nach besonders gut zur Kultivierung.

Was meinen Sie damit?

Bei Rind, Huhn und Schwein hat man bereits bei der herkömmlichen Tierhaltung über das Futter großen Einfluss darauf, was die Tiere zu sich nehmen und was sich dadurch in ihrem Fleisch wiederfindet. Bei Fisch – sofern es sich um Wildfänge handelt – entzieht sich die Nahrungsaufnahme zumeist der Kontrolle des Menschen. Und weil Fische aus industriell aufgestellten Aquakulturen oftmals nicht nachhaltig gehalten und darüber hinaus je nach Art auch größere Mengen Antibiotika eingesetzt werden, sind auch sie keine alleinige Lösung für die Zukunft.

Nur leider sind Ihre kultivierten Produkte noch nicht auf dem Markt…

Noch kann man unsere kultivierten Meeresfrüchte nicht kaufen, denn in der Europäischen Union gibt es bislang keine Zulassung. Für Singapur und die USA haben wir allerdings einen entsprechenden Antrag gestellt. Wir wollen auch in der EU verkaufen, aber wir suchen uns erst einmal ein Land aus, in dem die bürokratischen Hürden nicht so hoch sind, beziehungsweise, wo man sogar mitgenommen und unterstützt wird.

Bluu Seafood
Kultivierte Fischbällchen © BLUU GmbH

Wenn Sie eine Zulassung haben, wo bekommen die Konsumenten Ihre Lebensmittel?

Im ersten Schritt werden die Produkte vermutlich in ausgewählten Restaurants erhältlich sein. Kurzfristig geht es darum, erst einmal eine Neugierde zu wecken. Für später ist es gut vorstellbar, dass wir als Zulieferer für Lebensmittelunternehmen, beispielsweise aus der Tiefkühlkost-Branche, fungieren. Ich stelle mir das wie beim Halbleiter-Konzern Intel vor. Sein PC-Prozessor ist auch Bestandteil vieler verschiedener Computermarken. Auf jeden Fall ist es sinnvoller, mit Partnern zusammenzuarbeiten, als ihnen Konkurrenz zu machen.

Bis es so weit ist, gilt es jedoch noch einige Hindernisse zu überwinden. Wo sehen Sie zurzeit die größten Aufgaben?

Neben den Themen „Zulassung“ und „günstige Nährlösung“ ist die Skalierung, also die Produktion im größeren Maßstab, eine der wesentlichen Herausforderungen, der wir gegenüberstehen. Dass die Technik funktioniert, steht fest. Jetzt muss alles eine Nummer größer werden. Wir sind jetzt an dem Punkt, an dem sich die Fotovoltaik in den 1980er Jahren befand. Damals gab es – vereinfacht gesagt – nur solarbetriebene Taschenrechner. Heutzutage leistet die Technologie einen wichtigen Beitrag zum Energiemix.

Wenn sich die Kultivierung von Fleisch ähnlich entwickelt wie die Fotovoltaik, was muss auf diesem Wachstumsweg beachtet werden?

Beim Prozess der Skalierung gilt es nicht nur, stets Investoren von der Sache zu überzeugen, um die Finanzierung der Arbeit zu gewährleisten. Auch die Zellen müssen in den größer werdenden Tanks mit mehr Nährflüssigkeit höhere Belastungen aushalten als in kleineren Fermentern. Da wirken ganz andere Kräfte. Ich vergleiche das gerne mit einem schwimmenden Menschen. Es ist ein Unterschied, ob ich in einem Swimmingpool meine Bahnen ziehe, oder im brausenden Atlantik.

bluu seafood logo
© Bluu Seafood

Nicht nur bei der technischen Umsetzung, auch in puncto gesellschaftliche Akzeptanz gilt es einige Klippen zu umschiffen…

Ja, auch abseits der Fermenter brauen sich zuweilen Kräfte zusammen, die der Kulturfleisch-Idee zu schaffen machen. Vor Kurzem hat beispielsweise eine Studie der University of California (UC) in Davis für Kritik an der Kulturfleisch-Idee gesorgt. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass Kulturfleisch eine schlechte Umweltbilanz aufweist und bis zu 25-mal mehr Treibhausgas verursachen könnte als herkömmliches Tierfleisch. Ich halte wenig von der Untersuchung.

Warum nicht?

Vor allem, weil sie kein Peer-Review-Verfahren durchlaufen hat. Hierbei handelt es sich um eine Methode im Wissenschaftsbetrieb, die die Qualität einer Studie sichern soll. Unabhängige Gutachter aus dem gleichen Fachbereich (Peers) nehmen dabei die Ausarbeitung unter die Lupe. Die Autoren müssen sich der Kritik stellen und sie entweder in ihre Arbeit mit aufnehmen oder widerlegen. Erst dann kann die Studie seriös veröffentlicht werden. Außerdem zweifle ich an der Aussagekraft der UC-Davis-Untersuchung.

Inwiefern?

Die Kulturfleisch-Branche befindet sich noch in einem niedrigen Skalierungsstadium. Die Studie hat die aktuellen Werten einfach hochgerechnet. Das wäre so, als würde ich Linsensuppe in meiner kleinen Küche kochen und würde daraus den Energieverbrauch bei Erasco ableiten wollen. Abgesehen davon wurde die Entwicklung im Energiesektor nicht berücksichtigt. Wenn unsere Kultivierungs-Technologie so weit ist, dann wird auch die erneuerbare Energie einen viel größeren Anteil am Energiemix haben. Für mich sind Veröffentlichungen dieser Art Ausdruck einer starken Lobbyarbeit, die gegen die zellbasierte Fleischproduktion betrieben wird.

Wie gehen Sie damit um?

Manche Leute tun sich schwer damit, sich umzustellen. Oder sie wollen nicht verzichten. Es ist unsere Aufgabe, sie mitzunehmen. Zumal bei der Kultivierung von Fisch wie bei Bluu Seafood Probleme gelöst werden, die beim Verkauf von herkömmlichem Fisch in keiner Weise berücksichtigt werden. Wenn die Schleppnetze beim Fischfang beispielsweise die Böden umwälzen, sind die ökologischen Folgekosten nicht im Fischpreis enthalten.

Herr Lahme, wir bedanken uns für das Gespräch.

Weitere Informationen: bluu.bio

Dieser Beitrag wurde zur Verfügung gestellt von der Journalistin und vegconomist-Gastautorin Susanne van Veenendaal. Im Rahmen ihres Buchprojekts über kultiviertes Fleisch mit dem Titel „Die neue Fleischkultur – Warum Cultured Meat gut für Tier, Mensch und Umwelt sein kann“, an dem Susanne van Veenendaal gemeinsam mit Christoph Werner und Bastian Huber von cultured-meat.shop arbeitet, spricht sie mit verschiedenen deutschen Unternehmen, Forschern und Initiativen der Branche.

Teilen

Newsletter

Entscheidendes für Entscheider: Erhalten Sie regelmäßig die wichtigsten News aus der veganen Wirtschaft per E-Mail!

Kostenlos Abonnieren!

Börsennotierte Unternehmen

Hier finden Sie eine Liste von über 80 börsennotierten Unternehmen, über die wir in der Vergangenheit berichtet haben. Mit direkten Links, um alle Artikel zu den einzelnen Unternehmen zu lesen.