Im Rahmen der Kampagne „0 % fürs Klima – Mehrwertsteuer senken, Klima schützen“ startete die gemeinnützige Ernährungsorganisation ProVeg am Weltvegantag eine bundesweite Petition: ProVeg und die Unterstützer der Petition fordern die Bundesregierung auf, pflanzliche Lebensmittel einschließlich Alternativprodukten unverzüglich und dauerhaft von der Mehrwertsteuer zu befreien. Die Forderung wird unterstützt von: Upfield, Endori, Berief Food, Dr. Mannah’s, hemi, Albert Schweitzer Stiftung, BALPro und der European Vegetarian Union (EVU)
Als Gründe für die Forderung nennt die Organisation die sich zuspitzende Klimakrise und die anhaltende finanzielle Belastung der Bevölkerung durch den drastischen Anstieg der Lebensmittelpreise im Zuge der aktuellen Inflation. Die Maßnahme verspricht zudem ökonomische Chancen für Lebensmittelhersteller und den Handel. ProVeg verschärft damit seine Position in der Mehrwertsteuer-Debatte – und den Druck auf die politischen Entscheidungsträger.
„Die Bürgerinnen und Bürger brauchen jetzt Rahmenbedingungen, die es ihnen leicht machen, klimafreundliche Entscheidungen an der Kasse zu treffen. Die hohen Lebensmittelpreise schränken die Entscheidungsfreiheit der Bevölkerung stark ein. Dies ist weder klima- noch sozialpolitisch länger tragbar“, mahnt Matthias Rohra, Geschäftsführer von ProVeg in Deutschland.
Klimaschutz erfordert Ernährungswandel
Unsere Ernährung ist für mindestens ein Fünftel der deutschen Treibhausgas-Emissionen verantwortlich und zählt damit aus Sicht von ProVeg zu den wichtigsten Stellschrauben im Klimaschutz. Mehr als die Hälfte der landwirtschaftlichen Emissionen in Deutschland stammen direkt oder indirekt aus der Produktion tierischer Lebensmittel. Auch die Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen sieht in der Produktion tierischer Lebensmittel eine entscheidende Ursache für den Klimawandel.
Die Grundlage einer klimafreundlichen Ernährung bilden Obst, Gemüse, Getreide und Hülsenfrüchte, auch als Basis pflanzlicher Alternativprodukte. Denn pflanzliche Alternativen zu Fleisch, Fisch, Milch und Co. spielen eine zentrale Rolle für die Ernährungswende: So verursacht die Herstellung von Kuhmilch im Schnitt drei- bis fünfmal so viele Treibhausgas-Emissionen und die Herstellung von Rindfleisch mehr als das Siebenfache der Emissionen, die bei der Herstellung pflanzlicher Alternativen entstehen.
Sozialer Ausgleich durch Mehrwertsteuerbefreiung
Die Verbraucherpreise verzeichnen indessen die höchste Teuerung seit 1951, die Entwicklung der Erzeugerpreise lässt bereits weitere Preissteigerungen erwarten. Lebensmittel verteuerten sich mit 18,7 Prozent gegenüber dem Vorjahr überproportional. Am stärksten betroffen sind die einkommensschwächsten Haushalte, die anteilig über 60 Prozent mehr ihrer Konsumausgaben für Lebensmittel ausgeben als die einkommensstärksten.
Eine Änderung der EU-Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie erlaubt den EU-Mitgliedstaaten seit diesem Frühjahr, eine vollständige Befreiung ausgewählter Produkte und Dienstleistungen von der Mehrwertsteuer zu regeln. Die Bundesregierung darf klimafreundliche Lebensmittel somit steuerlich befreien, um den Konsum zielgerichtet zu lenken. Anders als Nachbarländer wie die Niederlande und Polen nutzt die deutsche Regierung diesen hinzugewonnenen Handlungsspielraum bislang noch nicht.
Dreifachwirkung: effektiv, zielgerichtet, zukunftsträchtig
Die Erfahrung mit der temporären Mehrwertsteuersenkung von 2020 hat empirisch belegt, dass eine Steuersenkung nahezu vollständig als Preissenkung bei den Verbrauchern ankommt. Eine Konsumverlagerung zugunsten pflanzlicher Produkte von 5 bis 10 Prozent könnte die ernährungsbezogenen Emissionen im Schnitt um 5 Prozent senken. „Die Befreiung pflanzlicher Lebensmittel von der Mehrwertsteuer ist damit eine ebenso günstige wie wirksame Investition in den Klimaschutz und die Entlastung der Bevölkerung”, betont Dirk Liebenberg, Senior Project Manager für Food Industry and Retail bei ProVeg.
ProVeg schätzt die jährlichen Ersparnisse pro Haushalt auf derzeit rund 145 Euro. Haushalte mit niedrigerem Einkommen würden von der Entlastung dreimal stärker profitieren als Haushalte mit Spitzeneinkommen. „Die richtige Entscheidung muss die einfache Entscheidung sein, unabhängig vom Einkommen“, fordert Liebenberg daher.
ProVeg schätzt den Marktwert pflanzlicher Alternativprodukte im deutschen Einzelhandel derzeit auf etwa 1,5 Milliarden Euro. Die Umsätze im deutschen Lebensmitteleinzelhandel haben sich von 2018 bis 2020 nahezu verdoppelt. Prognosen gehen auch in den kommenden Jahren europaweit von einem jährlichen Wachstum von mindestens 10 Prozent aus. Damit steigt zugleich die Nachfrage nach heimischen Rohstoffen für Alternativprodukte.
Der Bauernverband hat die wachsende Beliebtheit pflanzlicher Ernährungsformen daher als Chance für die Landwirtschaft erkannt. Landwirte könnten insbesondere von Tierhaltung und Futtermittelproduktion auf den Anbau pflanzlicher Proteinalternativen umsteigen. „Eine zukunftsträchtige Landwirtschaft, die auf pflanzliche Produkte setzt, bietet Planungssicherheit und zusätzliche Einkommensmöglichkeiten – das schulden wir unseren Bäuerinnen und Bauern“, befindet Liebenberg.
Für weitere Informationen: Positionspapier zur Kampagne.