Die Gesundheitsverbände Physicians Association for Nutrition (PAN), Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG) und Verband der Diätassistenten (VDD) haben die großen Einzelhändler in Deutschland nachdrücklich aufgefordert, ihre Kunden bei der Umsetzung einer pflanzenbetonten Ernährung zu unterstützen. Die Ernährungsorganisation ProVeg sieht darin auch ihre eigenen Forderungen bestätigt und drängt auf weitere Konkretisierungen.
In einem offenen Brief an die führenden Lebensmittelhändler betonen die unterzeichnenden Verbände, dass eine pflanzenbetonte Ernährung der gesundheitlichen Prävention, etwa von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes, dienen könne sowie dank niedriger Treibhausgas-Emissionen und einem geringeren Flächenbedarf die Umwelt schütze. Sie heben außerdem hervor, dass die Klimakrise die aktuell größte Gesundheitsbedrohung sei, mit Blick auf das gesamte Gesundheitssystem wie auch den einzelnen Menschen. Für eine gesamtgesellschaftliche Änderung der Ernährung bedürfe es veränderter Ernährungsumgebungen. Supermärkte würden dabei eine entscheidende Rolle spielen.
ProVeg-Marktexperte Dirk Liebenberg stimmt dieser Darstellung zu: „Wir sprechen immer noch viel zu oft von der Verantwortung des Einzelnen. Dabei gerät leicht aus dem Blick, wie entscheidend Ernährungsumgebungen wie der Einzelhandel und die Gemeinschaftsverpflegung sind.“ Liebenberg lobt weiter: „Der Hinweis der Gesundheitsverbände, dass die Klimakrise schon jetzt horrende Auswirkungen auf die Gesundheit hat, die das gesamte Gesundheitssystem erfassen, ist eine sehr wichtige Warnung. Der Einzelhandel und die Politik sollten genau hinhören!“
Die Verbände fordern die Einzelhändler auf, sich zum Wohle ihrer Kunden als Vorreiter in der Gesundheits- und Umweltförderung zu positionieren und schlagen drei Schritte vor. Zu den Vorschlägen der Verbände nimmt Liebenberg Stellung und empfiehlt, noch konkreter zu werden.
Schritt 1: Preisreduktion auf pflanzliche Nahrungsmittel
„Preisreduktionen schaffen nachweislich Kaufanreize. Der deutsche Einzelhändler Lidl und der österreichische Einzelhändler Billa konnten im letzten Jahr durch die Angleichung der Preise für tierische und pflanzliche Produkte eine Absatzsteigerung von über 30 Prozent in ihren Eigenmarken-Sortimenten erzielen. Vergleichbare Preise für tierische und pflanzliche Produkte sind der richtige Weg“, erklärt Liebenberg.
ProVeg beobachtet die Preisentwicklung genau: Im letzten Jahr ist der Aufpreis für pflanzliche gegenüber tierischen Produkten im Schnitt von 53 auf 25 Prozent gesunken, so das Ergebnis der ProVeg-Preisstudie von 2023. ProVeg erhebt derzeit die Daten für die diesjährige Studie – und erwartet die Ergebnisse schon mit Spannung.
„Einige Einzelhändler haben bereits ein entschlossenes Engagement in Bezug auf die Preisgestaltung gezeigt. Um die Preise für pflanzliche Nahrungsmittel flächendeckend zu senken, sollte aber auch die Politik aktiv werden – und die Mehrwertsteuer auf die Produkte auf 0 Prozent senken. Dies würde das Wachstum einer wichtigen Zukunftsbranche und erhebliche Einsparungen im Gesundheitsbereich ermöglichen“, mahnt Liebenberg an.
Schritt 2: Einführung eines „Protein Split Targets“
„Die Messung des Proteinverhältnisses im Verkaufsvolumen ist aktuell ein viel diskutiertes Thema im Einzelhandel. Einige Nachbarländer sind dabei schon viel weiter als Deutschland, auch mit politischer Unterstützung. Würde das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft den Status quo in seinem jährlichen Ernährungsbericht veröffentlichen, dann hätten wir eine konkrete ernährungspolitische Kennzahl. Das wäre ein echter Gewinn!“, so Liebenberg weiter.
Aber: „Um ein konkretes Zielverhältnis – etwa 60 Prozent pflanzliche und 40 Prozent tierische Proteine – ausrufen zu können, sollten sich die Einzelhändler zunächst auf eine branchenweit einheitliche Messmethode und einen Zielkorridor einigen“, gibt Liebenberg zu bedenken. Welche Methoden derzeit Verwendung finden, welche Vor- und Nachteile sie haben und welcher Zeithorizont unseren klimapolitischen Zielen entspricht, hat ProVeg im Juli in einem Positionspapier dargelegt. „Nur eine einheitliche Messmethode gewährleistet Vergleichbarkeit“, betont Liebenberg.
Schritt 3: Umsetzung der Empfehlungen der „Superlist Environment“
„Superlist Environment Germany ist ein vielsprechendes Projekt, das entscheidende Benchmarks für Nachhaltigkeit im Lebensmittelhandel liefert. Auf der New Food Conference von ProVeg am 3. September 2024 wird die niederländische Denkfabrik Questionmark die dahinter stehende Forschungsmethode dem deutschen Einzelhandel vorstellen und mit ihm diskutieren. Die endgültige Methodik erwarten wir übrigens Ende September“, so Liebenberg.
„Supermärkte haben ein enormes Potenzial, die Gesundheit der Menschen und des Planeten zu unterstützen. Daher begrüßen wir die Superlist Environment ausdrücklich und werden diese ab jetzt mit vielen weiteren Organisationen unterstützen“, erklärt auch Niklas Oppenrieder, Vorstandsvorsitzender von PAN. ProVeg, PAN, die Deutsche Umwelthilfe, Madre Brava und die Albert Schweitzer Stiftung für unsere Mitwelt sind Partner von Questionmark im Projekt Superlist Environment Germany.
Weitere Informationen: proveg.com/de